Paul Brandt
1861 - 1932
Von Athen zum Tempethal.Reiseerinnerungen aus Griechenland
1894
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1. Von Athen nach Eleusis.
Das in Athen mit besonderer Feierlichkeit begangene griechische Osterfest war vorüber; wir hatten es abgewartet, um den folgenden Donnerstag, es war der 21. April 1892, unsre Reise nach Mittel- und Nordgriechenland einzutreten Nur schwer wohl trennte sich mancher unter uns von Athen, dem endlich erreichten Ziel langgehegter Sehnsucht, von seiner heute noch wie einst stolz aufstrebenden Burg mit ihren goldschimmernden Tempeln, von dem unendlichen Reiz der fein gezeichneten Berglinien Attikas und dem fernher leuchtenden Blau des schönsten aller Meere.
Akropolis um 1900
Aber andrerseits waren es auch glänzende Namen, die uns auf dieser Reise begegnen sollten: Eleusis, bis in die späteste heidnische Zeit der Sitz des uralten Mysteriendienstes, das Schlachtfeld von Platää, wo der die ganze europäische Kultur in Frage stellende Anprall der Barbaren endgiltig dem freien Griechentum unterlag, Theben, die sagenberühmte Stadt des Kadmos, Orchomenos, einst der Herrschersitz der mächtigen Minyer, Chäronea, das Grab der griechischen Freiheit, Delphi, der Sitz des einst weltumspannenden, fast weltgebietenden Orakels, Thermopylä, die Ruhmesstätte spartanischen Todesmutes, und endlich das mit großartiger Wildheit idyllische Anmut wunderbar vereinende Tempethal.Das Ziel unsres ersten Reisetages war Theben. Der bequemste und abgesehen von dem fast unwegsamen Paß über den Parnes, dem von Phyle, einzige Weg dorthin führt über Eleusis, das mit Athen durch die uralte heilige Straße verbunden war. Auf ihr bewegte sich alljährlich am Abend des fünften Tages der großen Eleusinien der geheimnisvolle Zug der Mysten*) unter Fackelschein über den Daphnipaß ans Meer und von da, in weitem Bogen die eleusinische Bucht umschreibend, nach dem Mysterienheiligtum, um dort die heiligsten Tröstungen der Religion zu empfangen, welche das antike Heidentum kannte. Noch heute gewahrt man neben der modernen Fahrstraße die Spuren des alten Prozessionsweges, und an der Stelle, wo die Straße das Meer erreicht hat und sich zwischen diesem und den letzten Ausläufern des Poikilon-Gebirges nach Norden umbiegend durchdrängt, sind die Einarbeitungen in den Fels noch deutlich erkennbar. Noch heute ruht. über dieser kleinen, von Fichten umsäumten Thalschlucht, an deren Ende die blaue eleusinische Bucht mit der Insel Salamis den Blick abschließt, eine besondere Weihe, und dankbar empfindet man, daß dieser stille Zauber nicht durch den schrillen Pfiff einer Lokomotive gestört wird. Die Steigung des Daphnipasses war für die Eisenbahn zu steil; sie sucht sich, weiter nach Norden ausgreifend, einen niedrigeren Paß zum Überschreiten des die attische von der thriasischen Ebene trennenden Aigaleosgebirges aus. Da die Wagenfahrt von Athen nach Eleusis auf der heiligen Straße immerhin 2½ Stunden in Anspruch nimmt, so war für uns, teils um Zeit zu sparen, teils um die Pferde zu schonen, die Benutzung der Eisenbahn geboten. Am peloponnesischen Bahnhof“ im Nordwesten der Stadt, dessen noch wüste Umgebung mit ihren elenden Häusern und Holzbaracken den Fremden, der hier zum erstenmal attischen Boden betritt, in eine amerikanische Ansiedelung versetzen würde, wenn nicht von fern tröstend die Akropolis herüberwinkte – dort steigen wir ein, und an dem Kolonos Hippios vorbei, der durch den sophokleischen Ödipus auf Kolonos“ für alle Zeit geweiht ist, heute aber nur einen flachen, kahlen Hügel darstellt, führt uns die Bahn durch den uralten Ölwald und über die schwache Wasserader des Kephissos nordwärts durch die attische Ebene. Ein letzter Blick auf die im Strahl der Morgensonne glänzende Akropolis, auf die sich von Süden her stolz emporhebeude alte Piräusburg Munychia. Schnaubend erklimmt die Lokomotive die Paßhöhe, und bald breitet sich vor unsern Blicken die in intensivstem Grün leuchtende eleusinische Bucht aus, und dahinter erheben sich die charakteristischen Bergformen der Insel Salamis. Wir fahren abwärts durch die mit Getreide, Öl und Wein wohlangebaute thriasische Ebene, in deren fruchtbare Scholle einst Demeter das erste Saatkorn senkte, und bald sind wir in Levsina (aus dem Acc. Ἐλευσἲνα), das zwar seinen alten Namen nur wenig verändert bewahrt hat, aber jetzt fast ganz von Albanesen bewohnt ist.
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1) Die (vorläufig) Eingeweihten; die völlig Eingeweihten hießen ἐπόπτέαι, die Schauenden“. |