BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Eduard Mörike

1804 - 1875

 

Das Stuttgarter Hutzelmännchen

 

1853

 

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Nun, lieber Leser, ist es Zeit, daß du erfahrest, wie es derweil ergangen mit dem andern Paar, das der Gesell an jenem Morgen auf der Brücke ließ, als er aus Stuttgart wanderte.

Nicht tausend Schritt war er hinweg, kam eine Bäuerin von Häslach her und sah die Schuh. Die hat der Böse hingestellt, mir zur Versuchung! dachte sie, bekreuzte sich und lief ihrer Wege. Spazierte [62] drauf – denn es war Feiertag, – ein Seifensieder aus der Stadt gemächlich, nach seinem Weinberg auszuschauen. Derselbe aber war ein Frommer. Wie er die herrenlose Waare sieht, denkt er, wie geht das zu? die wären meiner Frau wie angemessen! Ich will mich nicht vergreifen, das sey fern: nur wenn ich wieder komme und sie stehn noch da, mag mir's ein Zeichen seyn, daß sie der liebe Gott mir schenkt für meine Christel. Damit das Pärlein aber nicht etwan von der Sonnenhitze leide, nahm es der kluge Mann und stellte es unter die Brücke in Schatten, wo es nicht leicht ein Mensch entdecken mochte.

Bald drauf kommt aus dem Thor ein sauberes Bürgermädchen, Vrone Kiderlen, einer Wittfrau Tochter; trug ein Grättlein am Arm und wollte Himbeern lesen im Bupsinger Wald. (Der hatte seinen Namen von einer Ortschaft auf dem Berg, von welcher heutzutag die Spur nicht mehr vorhanden ist, doch heißt der Wald daher noch jetzo der Bopser.) Indem sie nun über das Brücklein geht, patscht etwas unten, und so ein paarmal nach einander. Was mag das seyn? denkt sie und steigt hinunter an den Bach. Heilige Mutter! nagelneue Schuh! ruft sie, und schaut sich um, ob sie nicht Jemand sehe, der sie vexiren [63] wollte oder ihr den schönen Fund thun ließ, weil eben heut ihr Wiegentag war. Sie nahm das Paar, zog es zur Probe einmal an und freute sich, wie gut es ihr paßte und wie gar leicht sich darin gehen ließ. Bald aber kam ihr ein Bedenken an, und schon hat sie den Einen wieder abgestreift; der andere hingegen wollte ihr nicht mehr vom Fuß. Sie drückte, zog und preßte, daß ihr der Schweiß ausbrach, half nichts – und war sie doch so leicht hineingekommen!

Je mehr sie diesem Ding nachdachte, desto verwunderlicher kam's ihr vor. So eine verständige Dirne sie war, am Ende glaubte sie gewiß, die Schuhe seyen ihr von ihrer Namens-Heiligen Veronica auf diesen Tag beschert, und dankte alsbald der Patronin aus ehrlichem Herzen. Dann zog sie ohne Weiters auch den andern wieder an, schob ihre alten in den Deckelkorb und stieg getrost den Berg hinauf.

Im Wald traf sie ein altes Weib bereits im Himbeerlesen an. Diese gesellte sich zu ihr, obwohl sie einander nicht kannten. Während aber nun Beide so hin und her suchten, geschah's, daß sich der Vrone an den linken Fuß eine kostbare Perlenschnur hing, die da im Moos verloren lag. Das Mädchen merkt' es nicht und trat bei'm nächsten Schritt von ungefähr [64] sich mit dem andern Schuh die Schnur vom linken los; das sah das Weib von hinten, hob heimlich das Geschmeide auf und barg's in ihrem Rock.

Die Schnur war aber keine andere, denn jene von der schönen Lau, und war an die Tochter des jetzigen Grafen, die schöne Irmengard, von dessen Frau Ahne vererbt.

Als endlich die Zwei nach einander heim gingen, verkündigte just in den Straßen des Grafen Ausrufer, daß gestern im Bupsinger Forst, unfern dem Lusthaus, ein Nuster mit Perlen verloren gegangen, und wer es wieder schaffe, dem sollten fünfzehn Goldgulden Finderlohn werden. Da freute sich das Weib, zog eilig ihre besten Kleider daheim an, kam in das Schloß und ward sogleich vor die junge Gräfin gelassen. Ach Frau, ach liebe Frau! rief diese ihr schon in der Thür entgegen: Ihr habt wohl mein Nuster gefunden? gebt her, ich will es Euch lohnen! –

Nun zog das Weib ein Schächtelein hervor und wie das Fräulein es aufmachte, lagen sechs oder sieben zierliche Mausschwänze darin, nach Art eines Halsbands künstlich geschlungen. Das Fräulein that einen Schrei und fiel vor Entsetzen in Ohnmacht. Das Weib in Todesängsten lief davon, ward aber von der [65] Wache auf den Gängen festgenommen und in Haft zu peinlichem Verhör gebracht. Darin bekannte sie nichts weiter als daß sie da und da den Perlenschmuck vom Boden aufgehoben und ihn, so schön wie er gewesen, daheim in die Schachtel gethan, der guten und ehrlichen Meinung, das gnädige Fräulein damit zu erfreuen. Im Wald sey aber eine Dirn' an sie gerathen, die müss' es mit dem Bösen haben, von dieser sey der Streich. – Weil nun der Graf nicht wollte, daß man bei so bewandten Sachen viel Aufhebens mache, da mit Gewalt hier nichts zu richten sey, ließ man das Weib mit Frieden. Zum Glück kam nichts von ihren Reden an die Vrone, sie wäre ihres guten Leumunds wegen drob verzweifelt.

Auch anderweits erlebte sie in ihren Wunderschuhen viel Unheil, obwohl der Segen nicht ganz mangelte. Als zum Exempel ging sie Sonntag Nachmittag gern über einen Wiesplatz hinter ihrem Haus, eine Gespielin zu besuchen; da stieß sie sich ein wie das anderemal an so ein kleines verwünschtes Ding von einem Stotzen, wie sie pflegen auf Bleichen im Wasen zu stecken, fiel hin, so lang sie war, hub aber sicher einen Fund vom Boden auf: nicht allemal ein Stücklein altes Heidengold, einen silbernen Knopf oder Wirtel, dergleichen oft [66] der Maulwurf aus der Erde stößt, doch war ihr ein ehrliches Gäns-Ei, noch warm vom Legen, gewiß. Besonder ging es ihr bei'm Tanz: da sah man sie zuweilen so conträre, wiewohl kunstreiche, Sprünge thun, daß Alles aus der Richte kam und sie sich schämen mußte. Als ein gutes und fröhliches Blut zwar zog sie sich's nicht mehr als billig zu Gemüth und lachte immer selbst am ersten über sich, nur hieß es hinterdrein: Schad' um die hübsche Dirne, sie wird mit Einemmal ein ganzer Dapp! Die eigne Mutter schüttelte den Kopf bedenklich, und eines Tages sagte sie, als ginge ihr ein Licht wie eine Fackel auf, zur Tochter: ich wette, die vertrackten Schuh allein sind Schuld! der Alfanz hat mir gleich nur halb gefallen; wer weiß was für ein Rauner sie hingestellt hat. – Das Mädchen hatte selber schon an so Etwas gedacht, jedoch verstand sie sich nicht leicht dazu, sie gänzlich abzuschaffen, sie waren eben gar zu gut und dauerhaft. Indeß ging sie noch jenen Tag zum Meister Bläse, sich ein paar neue zu bestellen. Es war derselbige, bei welchem es der Seppe nicht aushalten mögen. Die Vrone sah auf dessen Stühlchen ungern einen Andern sitzen; sie hatte ihn gekannt und gar wohl leiden können. [67]

Wie nun der alte Bläse ihr das Maß am Fuß nahm, stachen ihm die fremden Schuhe alsbald in die Augen. Er nahm den Einen so in seine feiste Hand, betrachtete ihn stillschweigend lang und sagte: da hat Sie was Apartes: darf man fragen, wo die gemacht sind? – Das Mädchen, welches bis daher von ihrem Fund noch weiter Niemand hatte sagen wollen, gab scherzweis zur Antwort: ich hab' sie aus dem Bach gezogen. – Die fünf Gesellen lachten, der Alte aber brummte vor sich hin: das könnt' erst noch wahr seyn.

Am Abend in der Feierstunde sprach er zu seinem Weib und seiner Tochter Sara: ich will Euch etwas offenbaren. Die Kiderlen hat ein Paar Glücksschuh am Fuß; ich kenne das Wahrzeichen. – Ei, meinte die Tochter aus Neid: sie haben ihr noch keinen Haufen Geld und auch noch keinen Mann gebracht. – Es kann noch kommen, versetzte der Alte. – Wohl, sagte die Mutter: wenn man sie ihr nur abführen könnt'! ich wollte so Etwas der Sare gönnen. – Da beschlossen sie dann miteinander, der Vater solle ein Paar Schuh wie diese machen und die Sare sie heimlich verwechseln.

Der Mann begab sich gleich den andern Morgen [68] an die Arbeit. So häkelig sie war, dennoch, die feinen, wundersam gezackten Nähte, die rothe Fütterung mit einem abgetragenen Stück Leder, Alles zumal gerieth so wohl, daß er selbst sein Vergnügen dran hatte. Die böse List in's Werk zu setzen, ersannen sie bald auch Mittel und Wege.

Dicht bei der Stadt, wo man heraus kommt bei dem Thor, welches nachmals, von dortiger Schießstatt her, das Büchsenthor hieß, sah man zu jener Zeit noch einen schönen ansehnlichen Weiher, ähnlich dem Feuersee, der eine gute Strecke weiter oben dermalen noch besteht. Am Ufer war ein Balken- und Brettergerüst mit Tischen und Bänken hinein in das Wasser gebaut, wo die Frauen und Dirnen der Stadt ihre Wäsche rein zu machen pflegten. Hier stunden sie manchmal zu Vierzig oder Fünfzig, seiften und rieben um die Wette und hatten ein Gescherz und Geschnatter, daß es eine Lust war, Alle mit bloßen Armen und Füßen. Nun paßten des Schusters wohl auf, bis die Vrone das nächste Mal wusch; denn Bläses Haus lag hart am See, und stieß das Wasser unten an die Mauer. Auf einen Mittwoch Morgen, da eben schönes warmes Wetter war, kam denn die junge Kiderlen mit einer Zaine: geschwind sprang auch die Sare mit [69] der ihren und traf es glücklich, neben sie an Einen Tisch zu kommen. Da stellten Beide ihre Schuh, wie es der Brauch war, unter die Bank. Die Vrone hatte seit acht Tagen heut das erstemal ihr Glückspaar wieder angelegt, mit Fleiß: denn weil sie richtig dieser ganzen Zeit das Melkfaß nimmer umgestoßen, das Spinnrad nimmer ausgetreten, noch sonst einen bösen Tritt gethan, so wollte sie, des Dinges ganz gewiß zu seyn, jetzo die Gegenprobe machen. Die falsche Diebin war mit den paar Lacken, so sie mitgenommen, in einer Kürze fertig, schlug sie zusammen, bückte sich, stak in einem Umsehn in des Pechschwitzers Schuhen, schob ihres Vaters Wechselbälge dafür hin, und: Bhüt' Gott, Vronele! mach' au bald ein End! – mit diesen Worten lief sie fort, frohlockend ihrer wohl vollbrachten Hinterlist; und als die Andre nach drei Stunden, um die Essenszeit, vergnügt auch heim ging unter den Letzten, nahm sie der Täuscherei nicht im geringsten wahr.

Der Pechschwitzer aber, der wußte den Handel haarklein, und dachte jetzt darauf, wie er dem Bläse gleich die nächste Nacht den Teufel im Glas zeigen wolle.

Derselbe hatte allezeit, besonders auf die Krämermärkte, [70] dergleichen eben wieder einer vor der Thüre war, einen großen Vorrath seiner Waare in einer obern Kammer, die nach dem See hinaus ging, liegen. Nach Zwölfe in der Nacht vernahm die Schusterin ein seltsamliches Pflatschen auf dem Wasser, stieß und erweckte ihren Mann, damit er sehe was sey. – Ei, was wird's seyn! Die Fisch' hant öfters solche Possen. – Er war nicht wohl bei Muthe, hatte gestern bei'm Wein einen Bösen gethan, und hub gleich wieder an zu schnarchen und zu raunsen. Sie ließ ihm aber keine Ruh', bis er herausfuhr und ein Fenster aufthat. Erst rieb er sich die Augen, alsdann sprach er verwundert: der See ist schwarz und g'rutzelt voll mit Wasserratten! weit hinein, wohl fünfzehn Ellen von der Mauer. Junge und Alte, Kerl wie die Ferkel sind darunter! man sicht's perfect, es ist sternhell. Ei, ei, sieh, sieh! die garstige Kogen! wie sie die Schwänz' für Wohlseyn schwenken, schlurfen, rudern und schwimmen! Ursach ist aber, weil es diese Zeit so heiß gewesen, da bad't das Schandvolk gern.

Dem Bläse kam es so besonder und kurzweilig vor, daß er sich einen Stuhl an's Fenster ruckte, die Arme auf den Simsen legte und das Kinn darauf. So wollte er der Sache noch eine Weile warten. Die [71] Augen wurden ihm allgemach schwer und fielen ihm gar zu, doch fuhr er fort zu seinem Weib zu sprechen, welches inmittelst wieder eingedoset war, unsinnige verkehrte Reden, wie Einer führt im Traum und in der Trunkenheit. Du Narr, sprach er, was Armbrust, Bolz und Spieß, in solchen Haufen! das würd' viel batten!... Mordsakerlot, ich wollt', das Bulver wär' erfunden allbereits! Mit drei, vier Traubenschuß, aus einer Quartan-Schlang' oder Tarras, wollt' ich nicht schlecht aufräumen da unter der Bagasche! –

Jetzt aber that es wiederum Patsch auf Patsch. Der Schuster streckte seinen Kopf hinaus und wußte nicht woran er sey, mit allen seinen fünf Sinnen. Denn es flog nur so mit denen Thieren aus dem Kammerladen über ihm, ja unversehens fuhr ihm deren eines an den Schädel, und wie er's packt in seiner Faust, da sah es wahrlich einem schweren Bauernstiefel von seiner eignen Arbeit gleich auf's Haar! Voll Schrecken rief er seinem Weib, schrie die Gesellen aus dem Schlaf, und bis sie kamen, pflanzet' er sich selbst mit einem Prügel an die Thür der obern Bodenstiege, damit ihm der Spitzbuben keiner entkomme. Allein es ließ sich Niemand sehn, noch hören, und als die Gesellen erschienen, die Bühne wohl umstellten und der beherzteste [72] von ihnen die Kammerthür aufriß, und keine Menschenseele zu verspüren war, fiel dem Bläse das Herz in die Hosen. Er sagte leis' zu seiner Frau: die Sach' steht auf Saufedern, Weib, – es steckt, schätz' ich, ein Anderer dahinter, der ist mir zu gewaltig! Und nannt' ihr den Pechschwitzer. Die Schusterin, die sonst ein Maul als wie ein Scharsach führte, war da auf einmal zahm, bebte an allen Gliedern, und so die Tochter auch. Der Bläse aber sprach zu den Gesellen: macht keinen Lärm! geht vor in Nachbar Lippens Hof, des Fischers, macht in der Stille ein paar Nachen los, nehmt was ihr findet an Stangen und Netzen: wir müssen alle Waare noch vor Tag zusammenbringen, sonst hab' ich Schand und Spott der ganzen Stadt.

Indem sie gingen, rannte schon der Fischer über die Gasse und auf sie zu. Der hatte eben auf den See gehn wollen, etlicher Karpfen wegen, auf die Freitagsfasten, sah das wunderliche Wesen und lief, es dem Schuster zu melden. Indem sie nun zu Sieben, sammt dem Lipp, in zwei Schifflein vertheilt, bald hier bald dorthin stachen, faheten und suchten, begann es von Neuem zu werfen, und war es damit merklich auf ihre Köpfe abgezielt. Zwar kamen weder Schuh noch Stiefel mehr, dafür aber Leisten, deren [73] auch eine Last droben lag; nicht alte garstige Klötze allein, vernutzet und vom Wurm zerstochen, auch schöne neue zum Verkauf, sämmtlich von gutem hartem Holz, und kamen tapfer nach einander durch die Luft daher. Da schrie denn Einer bald in dem, bald in dem andern Schifflein: Hopp! Schaut auf! – und schlug doch links und rechts ein mancher Donnerkeil nicht unrecht ein.

Der Fischer sagte zu dem Bläse: auf solche Weis', Gevatter, möcht' ich mein Handwerk nicht das ganz Jahr treiben. In allweg aber sey's bezeugt, Ihr wisset mit dem Netz wohl umzugehen. Von heut an möget Ihr als Obermeister einer ehrsamen Schuhmacherzunft ganz kecklich einen Hecht so kreuzweis über'n Leist in Euer Zeichen lassen malen, dem Sprichwort zum Trutz.

Der Morgen kam schon hell herbei, als sie nach vielem Schweiß, Angst, Noth und Schrecken den Weiher wieder glatt und sauber hatten. Der größte Nachen wurde voll des nassen Zeuges, auch war wieder ziemlich Alles beisammen, nur da und dort fand man am Tag ein und das andre Stück noch im Röhricht versteckt.

Von dieser Geschichte erging das Gerücht natürlicherweise [74] gar bald an die Einwohnerschaft. Die Mehrsten achteten's für Satanswerk, und ahnete es dem Meister schon, daß sich ein Manches scheuen werde, ihm seine Waare abzunehmen, wie sich's in Wahrheit auch nachher befand. Nach einem Scherzwort etlicher Fazvögel aber hat man von dort an lange Zeit eine besondere Gattung grober Schuhe, so hier gemacht und weit und breit versendet wurden, nicht anderst mehr verschrieben, oder ausgeboten, als mit dem Namen: ächte, genestelte Stuttgarter Wasserratten.

Jetzt war des Meisters erste Sorge, daß das gestohlene Gut nur wieder fort aus seinem Haus und an die Eigenthümerin komme. Zwar seiner Frauen war am lichten Tag der Muth wieder gewachsen; ja, meinte sie, es sollte lieber Alles, Kundschaft und Haus und Hof hinfahren, nur diese Schuh', wenn sie behielten, da rindere ihnen (wie ein Sprichwort sagt) der Holzschlegel auf der Bühne. Der Bläse aber schüttelte das Haupt: meinst du, Er könne uns nicht auch am Leib was schaden? Behüt' uns Gott vor Gabelstich, dreimal gibt neun Löcher! – Er drohte seinem Weib mit Schlägen, wenn sie noch etwas sage, ging unmüssig im ganzen Haus herum, von einem [75] Fenster zum andern, und wollte fast verzwatzeln, bis es dunkel ward, wo seine Tochter die vermaledeiten Schuhe unter den Schurz nahm und forttrug.

Sie schlich sich damit an der Kiderlen Scheuer von hinten und stellte sie in eine Fensterluke, wo sie die Vrone, als sie früh in Stall ging, ihre Kuh zu futtern, auch sicherlich gefunden hätte, wenn sie vom Pechschwitzer nicht über Nacht wären wegstipitzt worden.

Indessen trug die gute Dirne das falsche Gemächt sonder Schaden, und wenn ein Tag herum war, hieß es beim Bettgehn allemal: jetzt aber, Mutter, glaubt Sie doch, daß es nicht Noth gehabt hat selletwegen? – Die Mutter sprach: beschrei' es nicht. – Auf solche Weise kam denn Alles wiederum in sein Geleis, und galt die Vrone wie vordem für ein kluges, anstelliges Mädchen.

Geraume Zeit, nachdem sich Dieses zugetragen, saß der Bläse in seinem Weinberg draußen bei'm Herdweg auf der Bank am Gartenhaus, bekümmerten Gemüths, weil es die Zeit her stark hinter sich ging in seinem Geschäft. Indem er nun so in Gedanken den heurigen Herbst überschlug, was er ertragen könne, sammt den Zwetschgen, davon die Bäume schwer voll hingen – horch! vispert Etwas hinter ihm, [76] und wer steht da? der Pechschwitzer, der Hutzelmann, der Tröster. Mein Schuster wurde käsebleich. Erschrecket nicht, Zunftmeister! ich komme nicht in Bösem. Wir haben einen Stuß miteinander gehabt, das ist ja wieder gut, und wär' es nicht, will ich's vergüten, so viel an mir ist. Jetzt aber hätte ich ein klein's Anliegen, Obermeister. – Und in was Stücken, liebes Herrlein, kann ich Euch dienstlich seyn? – Mit Erlaubniß, sprach der Hutzelmann und nahm Platz auf der Bank und hieß den Andern zu ihm sitzen: Seht, jensmal in der Nacht, da ich auf Eurem obern Boden war und Ihr am Fenster unten, hörte ich Euch ein Wörtlein sprechen, das will mir nimmer aus dem Sinn. Ihr habt gesagt: ich wollt' nur, daß das Bulver schon erfunden wär! Was meintet Ihr damit?

Der Bläse, sich besinnend, machte ein Gesicht, als wenn ein Mensch aufwacht bei Nacht in einem Kuhstall, darein er seines Wissens auf eigenen Füßen nicht gekommen ist, lachte und sprach: Herrlein – das hätte der Bläse gesagt? nun, wenn ich es noch weiß, soll mich der Teufel holen! – Ei, schwöret nicht, mein Freund, entgegnete ihm der Andere, warum wollt Ihr es läugnen? Vertrauet mir's; nur so bei'm Beilichen, [77] was das Bulver ist. Ich bin einmal in derlei Heimlichkeit ein stiegelfizischer, seht. Euer Schaden soll's nicht seyn, und möget Ihr dafür Etwas von meinen Künsten lernen. – Da stellte sich der Bläse an, als wenn er freilich Etwas wüßte, und sprach: weil Ihr es seyd, Pechschwitzer, so möcht' ich Euch wohl gern zu Willen seyn; vergönnt mir nur Bedenkfrist einen Tag, damit ich doch mein Weib auch erst darum befrage. – Der Andre fand das nicht unbillig, bat ihn bei'm Abschied inständig nochmals, gelobte ihm Verschwiegenheit und wollte morgen wieder kommen.

Jetzt, Sante Blasi, hilf! – so rief der Alte aus, wie er allein war: jetzt muß das Bulver 'raus aus meinem dicken Schustersgrind und wenn's die halbe Welt kostet! – Da saß er, hatte beide Ellenbogen auf den Knieen und beide Fäuste an den Backen. Vor die Ratten, sprach er, kann's nicht seyn, warum? sott's Bulver hat man lang. Selle Nacht aber ist es mir wampel gewesen, mag leicht seyn hat mir's traumt vom güldnen Magen-Triet, so allein der König in Persia hat. – – Es gibt ein Kräutlein, heißt Allermanns-Harnisch, und gibt ein anders, das heißt Dierletey, und wieder eins, Mamortica: kein Wurzler [78] hat's, noch Krämer. Daraus hat meiner Mutter selig ihre G'schwey eine Salben gemacht, die war vor Alles gut. – – Ich will halt einmal gehn und schauen, was zu machen ist, und will erst Species kaufen; Probiren ist über Studiren.

Auf seinem Weg zur Stadt sann er scharf nach. Auf einmal schnellt er mit dem Finger in die Luft, und – Wetter! rief er aus, kann Einer so ein Stier seyn und noch lang sinniren hin und her, wo doch ein Ding glatt auf der Hand liegt! Was mag ein Schuster bei dem andern sonst für einen Vortheil suchen zu erfahren, wenn es nichts aus dem Handwerk ist? Da laß ich mich schon finden.

Er lief zum Krämer stracks, zu holen was er brauchte. Daheim in einer hintern Stube setzt er sich an einen langen Tisch mit einer Halbmaas Wein, macht allda unterschiedliches Gemeng mit seinem besten Essig an zu einem schwarzen Quatsch, knetet und knauzet's wohl unter dem Daum, probirt's auf alle Weise, und war ihm lang nicht fein genug. Das dauerte bis an den andern Abend.

Wie nun der Hutzelmann auf die gesetzte Stunde pünktlich kam, und ihm der Bläse mit Geschmunzel seinen Teig hinhielt, roch der daran und sagte: lieber [79] Mann, da hätten wir halt eine neue Schuhwichs? – Aufzuwarten, ja. – Mich will bedünken, sprach lächelnder Miene der Kleine: Ihr habt selbst noch weit hin bis Ihr das Bulver find't, und habt jetzt nur viel Arbeit, Müh und Kösten unnöthigerweis gehabt mit mir. Dafür, wie auch um andrer Einbuß willen, soll Euch indeß Vergütung werden. Ich will Euch das Recept zu meiner Fett-Glanz-Stiefelwichsen geben, die mögt Ihr schachtelweis mit gutem Vortheil verkaufen.

Das Männlein wußte wohl, was es hiermit verhieß, denn Meister Bläse ward ein reicher Mann mit solcher Handelschaft in wenig Jahren. Seine Erben bewahren annoch das Geheimniß, und allen feinen Leuten unsrer Tage wüßt' ich fürwahr eine bessere Wichs nicht zu nennen; obwohl ich nicht verschweigen darf, was der Pechschwitzer dazumal eben dem Bläse gar ehrlich bekannte: Ein Ledder wohl zu halten, nach Ledders Natur, ist das fürnehmst der Schmeer allezeit, und hat er Glanzes genug an ihm selbsten. Welcher Ausspruch indeß hier dahin gestellt bleibe.