Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Wirtshaus zum Altgeld. Mittelalterliches Gebäude, an einer Ausbuchtung der engen Gasse. Im Schenkzimmer viel dunkles Holz, die Tische abgewetzt. Das schwache Tageslicht sammelt sich auf Pavel, der einen langen Tisch allein einnimmt. Die wenigen Gäste halten von ihm Abstand. Die alte Kellnerin verliert sich an die entsetzte Betrachtung seiner Maske.Pavel verzehrt Würstchen und Bier. Ihm gegenüber flüstern die Tschechen in einem geschlossenen Haufen: Der Deutsche frißt, als ob es tschechische Kinder wären.“Die Kellnerin, mit falscher Stimme: So ein volkstümlicher Herr, so ein herablassender! Das ist selten heutzutage, ein Protektor beim Altgeld!“Der älteste Gast: Solln auch geheime Verliese unten sein. Vor hundert Jahren hab ich es selbst mit angesehen, wie einer hinabgestoßen wurde. Wird immer noch drinnen sitzen.“Ein anderer: Und Marischka läßt ihm das Pilsner und die Klobatschen am Seil hinab.“Die Kellnerin: Ihr sollt den armen Herrn nicht erschrecken. Am End versteht er euch, obschon er, hör ich, ein Deutscher ist.“Der älteste Gast vertraut ihr etwas an. vor Schreck muß sie sich setzen.Laut spricht der älteste Gast: Der versteht jedes Wort.“ Er sieht Pavel an: Schon im Omnibus hat er die Ohren gespitzt.“Pavel erkennt den Alten, dem es gelungen war, seine vier SS-Spione loszuwerden. Er fragt scharf: Wie kommst du daher? Deine vier Soldaten wolltest du in ein schlechtes Haus führen.“Der Alte steht habacht und macht Heil Hitler!Pavel: Merkt's euch, es ist ein strenges Geheimnis, daß ich hier bin. Wer redet, wird erschossen.“Alle jammern durcheinander: Das war ein Unglück!“Pavel: Was war ein Unglück?“Der Alte: Wie die Armen ihr Geld verloren.“Die Kellnerin halblaut: Und die Geschichte vom Pavel Ondracek.“Pavel: Endlich werd ich euch auf eure tschechischen Geheimnisse kommen. Gerade heute, wo ich in Brünn bin.“Sie tuscheln: Sitzt hier und ist eigentlich in Brünn. Das kann nur ein unbesieglicher Deutscher.“Der Alte: Halten zu Gnaden, der in Brünn wird der Ondracek sein.“Pavel: Zum Teufel euer Ondracek. Hat einer ihn gesehen? Existiert er?“Der Chor: Nein.“Pavel zeigt ihnen plötzlich sein zurückverwandeltes, ehrliches Gesicht. Niemand scheint es zu bemerken. Sie verstummen durchaus.Pavel, Maske und Befehlston: Er existiert nicht. Niemand kennt seinen Namen.“Der Chor: Meinen eigenen hab ich vergessen!“Sie stellen sich in einer Reihe auf, die Hände erhoben, das Gesicht nach der Wand.Draußen fährt ein motorisiertes Kommando an. Der andere Mann“ vom Altmarkt stampft herein.Der andere Mann: Melde gehorsamst, Aufstand am Altmarkt niedergeschlagen. Sturmbannführer schwer verwundet, ein Mann leicht.“Pavel: Der Mann sind Sie! Meine hohe Anerkennung. Der Führer wird Ihren Namen erfahren.“Der andere Mann: Zu Befehl, Krach.“Pavel: Hauptmann Krach.“Er begibt sich ins Freie, Hauptmann Krach hinter ihm.Pavel, zu den Offizieren und Mannschaften, die strammstehen: Dieser Mann hat unter meinen Augen eine feindliche Menge in die Flucht geschlagen. Ich befördere ihn zum Hauptmann, für hervorragende Tapferkeit vor dem Feind. Meinen Glückwunsch, Hauptmann Erwin Krach.“Hauptmann Krach, tief erschüttert: Erwin! Woher hat er den Vornamen; ich heiße August.“Pavel: Erwin ist richtig.“Hauptmann Krach: Zu Befehl. In meiner Sippe heißen wir von jeher Erwin.“Pavel: Mit traumwandlerischer Sicherheit sah ich Ihnen dreihundert Jahre Erwin an.“Ein Offizier zu einem anderen: Traumwandler? Daran erkenn ich ihn. Der ist nicht in Brünn.“Der andere Offizier: Hatten Sie gezweifelt?“Der erste, entrüstet: Wieso?“Pavel: Der verwundete Sturmbannführer!“Aus einem Panzerwagen wird die Bahre mit dem Verwundeten gezogen.Pavel: Heil Hitler!“Alle: Heil Hitler!“ und stumme Ehrenbezeugung.Pavel: Der Held, dies edle Opfer tückischer Tschechen, besteigt mein eigenes Auto!“Der Sturmbannführer wird hineingelegt.Pavel: Hauptmann Krach, zu mir!“Abfahrt. Pavel zwischen der Bahre und Hauptmann Krach. Der Sturmbannführer verdreht die Augen nach dem Protektor.Pavel: Endlich wach. Sie Schlafmütze lassen sich von ein paar Tschechen verhauen. Hören Sie mich?“Hauptmann Krach: Melde Eurer Exzellenz gehorsamst, ihm ist nur das Mundwerk eingeschlagen. Die Ohren sind ihm noch nicht abgeschnitten.“ Er beugt sich über den ganz und gar verbundenen Kopf des Sturmbannführers: Hören Sie zu, Herr Kamerad! Wir beide haben den Aufstand niedergekämpft. Exzellenz geruhten mich zum Hauptmann zu befördern. Sie sind ein Held und haben eine Gehirnerschütterung. Ihnen glaubt kein Mensch.“Der Sturmbannführer, mit Mühe, unter seinem Verband: Ich bin geheilt. Ich glaube alles.“ |