Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Die Soldaten machen ihnen gutwillig Platz. Die Glieder der Truppe sind aufgelöst. Man sieht allein Individuen, die in Uniform, aber mit der Haltung und dem Ausdruck von Arbeitern, auf Pavel hören.Der Sturmbannführer, bis jetzt wachsam, gibt seine Unruhe auf, er verzichtet auf jeden Widerstand gegen Ereignisse, die sich nach unbegreiflichen, aber hohen Gesetzen vollziehen. Anzusehen, als nähme er Befehle entgegen, hängt er an den Lippen Pavels.Pavel spricht zu den Arbeitern – tschechisch.Die deutschen Teilnehmer des Aktes bedauern ihn, ohne ihn eigentlich zu mißbilligen.Geheimrat Rumfutsch: Auch gut, man versteht nicht.“Oberst Schalk: Die ganze Zeit störte mich ein Gefühl, als wohnte ich unerlaubten Handlungen bei. Aber natürlich, wer nicht versteht, ist entschuldigt.“Präsident Labyrinth: So viel Tschechisch kann ich: er beschwatzt die Leute bolschewistisch!“Ein Begleiter der lachlustigen Dame: Auch ich bin Industrieller. Trotzdem muß man Vernunft annehmen.“Die scharfe Dame: Sind eh nur Reden.“Der Unbeteiligte: Mich geht es nichts an, nicht mal ein Industrieller bin ich. Indessen ist mir, als habe euer Führer schon ähnlich geredet.“Präsident Meyer: Und wie ging es weiter?“Der Unbeteiligte: Entgegengesetzt. Wird noch lange so gehen.“Die Arbeiter dort vorn begeistern sich, sie rufen nazdar!“Die Soldaten, anstatt die Arbeiter zurechtzuweisen, wiederholen den Ruf – tschechisch; mancher kennt gerade dies eine Wort.Geheimrat Rumfutsch: Ohne vorgreifen zu wollen, ich sähe mich lieber anderswo.“Oberst Schalk, in Unruhe: Ein alter Soldat verläßt nicht heimlich den Ort seiner befohlenen Pflicht.“Geheimrat Rumfutsch: Wem schulden Sie Gehorsam? Der eine redet bolschewistisch und tschechisch. Der zweite, der Sie hängen wollte, ist selbst geflüchtet.“Oberst Schalk: Geflüchtet?“ Er sucht umher: Wahrhaftig, wo haben wir Heydrich gelassen!“Wokurka: Nur getrost, die Herren! Er ist in guter Obhut. Ich bezeuge: Hauptmann Krach verschwand zugleich.“Der Unbeteiligte: Und wer noch? Der ganz Unbeteiligte muß es euch sagen: ein Herr von der Gestapo, Pommeranzenöl, oder wie er sich nannte.“Oberst Schalk: Blumentopf! Es kam mir hier gleich so leer vor.Geheimrat Rumfutsch: Unmöglich. Er war gefesselt. Von Hauptmann Krach sogar.“Wokurka: Fesseln Sie mich! Ich zeig Ihnen den Trick. Aber Sie bemerken wohl gar nicht, daß der Protektor unsere schöne deutsche Sprache gebraucht.“Man schweigt und hört.Pavel wiederholt, was er den Arbeitern gesagt hatte, für die Soldaten deutsch. Sie hängen an seinen Lippen.Wokurka: Er spielt die Szene ganz aus, damit der andere einen Vorsprung bekommt. Er ist der wohlwollendste Protektor, den der Führer zu uns entsenden konnte. Heil Hitler! rufe ich herzhaft.“ Aber er raunt es nur.Geheimrat Rumfutsch: Ich habe genug.“ Er macht sich nach dem Ausgang auf.Oberst Schalk: Ich endlich auch.“ Er schließt sich an.Präsident Labyrinth: Der Skandal entartet.“Präsident Meyer: Weder für ihn noch für den anderen geb ich etwas.“Beide Präsidenten schließen sich an.Die Begleiter der beiden Damen beraten.Einer: Sind nur die Deutschen frei? Er hat das ganze Protektorat für frei erklärt.“Ein anderer: Und er ist der einzige noch übrige Protektor.“Die scharfe Dame: Wie das Schicksal spielt!“Einer der Begleiter: Wird im Kolibri noch etwas los sein? Von uns kann die Welt lernen, wie sie regiert wird.“Die übrigen Begleiter: Wie man nicht hingerichtet wird. Wie von oben her die Revolution sich ausbreitet.“Die Dame mit dem Lachkrampf: Mein Kavalier hatte geschworen, mit Damen, die lachen, geht er nicht mehr aus.“ Sie lacht; alsbald wird ihr Krampf daraus.Die Herren können ihn nicht unterdrücken, da die Dame um sich schlägt. Schnell wird sie an den Armen und Beinen aus dem Burghof getragen.Wokurka, als alle fort sind: Pst, Herr Sturmbannführer!“Der Sturmbannführer: Herr Wokurka?“Wokurka: Sehen Sie, daß Sie mich kennen. Ohne mich zu rühmen, bin ich das nächste Freundchen des Protektors.“Der Sturmbannführer: Von welchem?“Wokurka, streng: Es gibt nur einen.“Der Sturmbannführer: Zu Befehl.“Wokurka, mit Autorität: Der Protektor befiehlt, daß Sie hinaufgehen und die Dame holen. Es wird abgefahren.“Der Sturmbannführer: Melde gehorsamst, die Dame steht hinter seiner Exzellenz. Der Kammerdiener hat ein Köfferchen mitgebracht.“Wokurka: Ein sehr brauchbarer Offizier, Sie werden vorgemerkt.“Der Sturmbannführer: Heißen Dank.“Wokurka, vertraulich: In dem Köfferchen ist die Zivilkleidung des Protektors für eine kleine Erholungsreise. Er hat heute sein Letztes hergegeben.“Unbekannt warum, findet der Sturmbannführer dies zum Lachen.Pavel nimmt die Fröhlichkeit des Sturmbannführers für das Zeichen zum Aufbruch.Mit Milo Schatzova, die gewartet hat, geht er ohne Eile über den weiten Hof. Der Sturmbannführer trägt das Köfferchen, vom Kammerdiener läßt er es sich nicht nehmen. Er legt es in den großen Wagen, dessen Scheinwerfer noch immer blenden.Pavel: Nein. In den Jagdwagen. Hauptmann Krach hat ihn dagelassen.“Milo Schatzova: Er begleitet uns nicht? Wie kommt er dorthin?“Pavel: Du siehst ihn wieder.“Wokurka winkt leutselig zurück.Der Kammerdiener: Wenn keine einzige Person historisch wäre, ich bin es!“ Stolz in das Haus.Die Arbeiter und Soldaten, vermischt und verbrüdert, unterbrechen während der Abreise ihren geistigen Austausch, um gemeinsam nazdar zu rufen.Der Sturmbannführer reibt sich nachdenklich die Stirn. |