BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

____________________________________________________________

 

 

 

98

 

Pavel, auf seinem Stein, starrt tränenlos.

Milo Schatzova und Lyda stehen zu seinen beiden Seiten.

Pavel: „Das tat ich, und das ist alles, was ich konnte.“

Lyda: „Ich liebe dich, Pavel. Verzeih dir selbst, wie ich dir verzeihe, und nur mir nicht, daß ich dich damals die Fratze schneiden ließ.“

Milo Schatzova: „Wovon sprecht ihr? Heydrich ist tot, und damit Schluß. Kein Untergang eures Dorfes macht ihn wieder lebendig. Die Folgen? Das sind nicht die tausend Unschuldigen, die heute sterben. Das werden seine Mitschuldigen sein, sie trifft es um so gewisser.“

Sie hat sich hoch aufgerichtet. Ihre weißlich graue Kleidung, die Jacke wie die Hose zeigen Flecken von Schlamm und von Blut. Dennoch läßt das Abschiedslicht von jenseits der Berge ein Flimmern entstehen in ihrer groben Tracht, schwache Wiederholung der indirekten Beleuchtung, einst auf der Bühne. Sie hält das Gewehr waagerecht von sich und blickt halb aufwärts.

Pavel: „Milo Schatzova – die Heldenjungfrau Johanna, Retterin des Vaterlandes. Ich nicht, ich rette nichts.“

Bevor die beiden Mädchen seine Absicht erkennen, ist er auf den Füßen und läuft in Richtung des brennenden Dorfes. Die Flammen, vorher blaß, bekommen im abnehmenden Tag ein tieferes Rot.

Doktor Holar: „Das ist ein Verzweifelter. Aufhalten! Pavel, halt!“

Er setzt dem Flüchtling nach.

Wokurka, überholt Doktor Holar: „Was der will, das will er. Ich laufe, damit Sie sehen können, Doktor, was eine Schauspielerlunge hergibt.“

Ein Schuß fällt aus der Richtung der Brandstätte. Pavel, im vollen Lauf, wird jäh zum Stehen gebracht von einem unsichtbaren Hindernis. Er dreht sich um sich selbst, stürzt zusammen und liegt auf der Seite.

Wokurka, wirft sich nieder, aber seine Stimme trägt bis zum Feind. Italienisch und deutsch ruft er: „Das sieht euch ähnlich. Vor einem Selbstmörder fürchtet ihr euch!“ Er legt das Gewehr an und zielt.

Jaroslav, am Boden, nicht zu unterscheiden von den Steinen, hat schon geschossen. Drüben, gegen die Flammen gesehen, tut eine schwarz umrissene Gestalt den Luftsprung, der ihr letzter war. Jaroslav trifft gleich noch einen zweiten.

Wokurka, meldet rückwärts seinen Leuten: „Planmäßig geht der Feind bis hinter seine Linie vor. Da kann man nichts machen.“ Er erkundigt sich bei Doktor Holar: „Wie steht es für den Patienten?“

Doktor Holar: „Seien wir froh, daß er lebt!“

Wokurka: „Wird er froh sein? Ein nicht aufgeklärter Fall.“

Doktor Holar, hat Instrumente hervorgeholt und arbeitet an der Wunde. Seine Worte kommen einzeln: „All und jedes klärt sich auf, nur leben muß man. Das Leben erhalten – ist wichtig.“

Lyda, trifft früher als Milo Schatzova und Jaroslav hier ein, sie geht auf ihren Knien und Händen. Am Boden legt sie ihr Gesicht neben den Kopf des Verwundeten, sie bittet inständig: „Pavel! Sprich ein Wort!“

Pavek, stöhnt vor Schmerzen laut.

Wokurka, für Lyda: „Sei zufrieden, Kind, das war sein erstes vernünftiges Wort.“

Doktor Holar hat Pavel verbunden: „So tragen wir ihn hinauf!“ Er faßt an.

Wokurka, greift zu.

Jaroslav nimmt, mit der Autorität des Stärksten, die Last an sich. Auf seinen beiden ausgestreckten Armen trägt er seinen Sohn vor sich her. Er spricht ihm ins Ohr: „Mir wirst du nicht sagen, daß alles nur schlecht war. Ich weiß, es war auch gut.“

Voll Kraft übersteigt er die Felsblöcke. Die anderen folgen. Bei der ersten bewaldeten Stelle angelangt, betten sie Pavel auf das Erdreich. Dann sitzen alle um ihn her. Es dunkelt unter den Bäumen.