Karl Jakob Hirsch
1892 - 1952
Kaiserwetter
1931
Erster Teil
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Es wird gefeiert
Emanuel Tölles vierzigster Geburtstag fiel auf einen Sonntag. Es sollte hoch hergehen, mittags waren Pietsch und Marahrens geladen. Es sollte Wein geben, Gänsebraten und einen Pudding. Mutter Luise hatte einen schweren Tag. Sie stand im Dunkeln auf und kramte überall herum. Tölle wälzte sich noch im Bett, er schimpfte, knurrte über die Unruhe im Hause und war doch geschmeichelt.Er träumte vor sich hin, dachte an dies und das, und eigentlich kam er sich nicht wie ein Vierziger vor. Gestern hatte er Postkarten mit Ansicht durch die Finger bekommen, ziemlich deutliche Sachen. So was fürs Herz“, sagte der Kollege Marahrens. Da gab es nun einen großen Krach, ob die Post so was befördern dürfe oder nicht. Tölle war sittlich entrüstet, schrie was von Unanständigkeit und Schweinerei, die Post brauche das nicht zu expedieren; er solle mal das Reglemang“ durchlesen, sagte Mussmann. Das wisse er, sagte Tölle und ließ so im Wortgetümmel die Ansichtskarte in die Tasche gleiten.Er feixte, strich seinen Schnurrbart und stieg aus dem Bett.Da in der Tasche hier, das ist sie! Zufrieden geht er wieder ins Bett. Er hat die Karte in der Hand, sie ist glänzend und hat schon ein paar Sprünge vom allzu heftigen Anfassen. Man sah ein leichtbekleidetes Mädchen, Rückenansicht, den Oberkörper herumgedreht, ein Tuch floss den Körper entlang, ließ hier und da Haut sehen. Am Gesäß war das Tuch ziemlich verrutscht, auch eine Brust war sehr übersichtlich. Tölle sah fiebernd auf das Mädchen, ein junges, dummes Gesicht, aber so etwas wie Vorwurf lag darin, einealberne Frage zierte den unteren Teil der Karte. Denkst du an mich?“ prangte da in geschnörkelter Druckschrift. Adressiert war sie an einen Herrn Julius Machold in der Vahrenwalder Straße. Gruß Schmidtchen“ stand auf dem für die Mitteilung frei gelassenen Raum.Tölle war in die Karte versunken. Draußen ging man auf Zehenspitzen, um nicht zu stören. Die Uhr schlug neun. Ihm wurde es weinerlich zumute, er glotzte in die Karte und dachte, davon wird man auch nicht satt. Schnaps und Weiber, Weiber und Schnaps, darum kreisten seine Gedanken seit einigen Jahren. Er war fleischlüstern und traute sich doch nicht, obwohl er es so bequem haben könnte. So allein die Treppen hinauf mit Briefen, da ein nettes Dienstmädchen, man klingelt, man schwatzt, vielleicht ist sie allein zu Hause, aber ... das waren Träume. In Wirklichkeit wurde er umso kürzer und wortkarger, je mehr ihm ein Mädchen gefiel. Er war feige. Er dachte, man müsse nun mal anfangen mit dem allem, er war doch kein alter Knopp“. Mutter Luise kränkelte seit dem Kinde, hatte dies und das und jenes, schluckte Pillen und Medizin und kam eigentlich nicht mehr in Betracht. Vierzig Jahre, Emanuel, sagte er sich, Mensch, nun wird es Zeit. Was haste denn gehabt? Früher als Sergeant ein paar Mädchen. Das lag weit zurück. Es war aber alles so gleichgültig, hinterher verfault man doch. Er seufzte und wurde unglücklich.In der Wohnstube befanden sich Mutter Luise und Bernhard mit glattgekämmtem Scheitel und ziemlich sauberen Nägeln. Den Topfkuchen zierten tatsächlich vierzig winzige Talglichter. Es hatte zwischen Mutter und Sohn eine Auseinandersetzung gegeben, denn der Bengel wollte schon um neun Uhr die Lichter anzünden, bevor Vater am Tisch erschien. Er versuchte es jedes Mal, wenn Luise aus dem Zimmer gegangen war.Nun stand Emanuel Tölle ziemlich überraschend in der Stube, und das erste, was er an seinem Geburtstag sah, war ein WutausbruchLuises, die sich endlich bewogen fühlte, ihrem unfolgsamen Sohne eine Maulschelle zu langen. Dass in diesem Augenblick das Geburtstagskind erschien, war im Programm nicht vorgesehen. So geschah es, dass Vater Tölle erst mal den Sohn vornahm und ihm auch eine Backpfeife verabreichte.Kein schöner Beginn für den Geburtstag. Es gab Weinen und Geschrei. Hinterher war es gar nicht so leicht, wieder in die richtige Feststimmung zu kommen.Neben dem Vertiko stand der Geburtstagstisch. Tölle besah sich etwas abwesend seine Geschenke. Nun musste er ja begeistert sein, etwas sagen. Lauter praktische Sachen“, brachte Luise stockend hervor. Bernhard wischte sich die Augen, schluckte und wartete, bis Vater sein Geschenk entdecken würde. Es war ein kleines Kunstwerk. Ein Pastellgemälde, Birken auf spinatgrüner Wiese. Originalgemälde“ stand dahinter in Bernhards unentwickelter Kinderhandschrift. Das stimmte aber nicht ganz, er hatte eine Vorlage gehabt, die Zeitschrift Welt und Haus“, die Mutter jede Woche bekam.Nun wäre es nicht schlimm gewesen, wenn Bernhard zugegeben hätte, das Bildchen abgemalt zu haben, aber er wollte es keinesfalls wahrhaben. Mit heimtückischer Vorsicht hatte er die betreffende Nummer der Zeitschrift nach getaner Arbeit beiseite gebracht. Luise sagte immer, wo denn bloß die Zeitschrift stecke, aber Bernhard machte dazu ein dummes Gesicht. Er war heimlich in den Maschpark gegangen, hatte Welt und Haus“ in kleine Stücke zerrissen und in den See geworfen.Vater Tölle besah sich das Kunstwerk, sagte: Ssü mal an, alleine gemacht?“ Bernhard nickte stumm, die Tränen kamen wieder, es waren aber keine Reuetränen.Zigarren von Mutter, Fehlfarben zu zehn Pfennig, eigentlich kosten sie zwanzig“, sagte sie halblaut. Eine Strickweste lag da, ein Schlips, ernst und den Jahren angemessen. Tölle hätte gerne einenhelleren gehabt, aber das ging wohl nicht. Die größte Freude machte dem Geburtstagskind eine Flasche Kognak, umwunden von Eichenlaub mit einer Schleife, worauf stand: Das kleine Pferd gratuliert dem sturmerprobten Reiter.“Ein Geschenk des Stammtisches im Restaurant Das kleine Pferd“, in dem Tölle verkehrte. Der Wirt Willi Voges hatte noch extra geschrieben und einen Gutschein für ein Dutzend lüttje Lagen“ beigefügt. Ein hochherziges Geschenk des sonst so knickerigen Voges.Dafür musste man sich gleich bedanken, sagte sich Tölle, und sein Gemüt wurde erhellt.Das kleine Pferd“ war ein altes verräuchertes Lokal in der Nähe des Raschplatzes, dicht am Land- und Amtsgericht und Justizpalast. Ein schöner Spruch war das Wahrzeichen dieses Lokals: Da hat das kleine Pferd sich einfach umgekehrt und hat mit seinem Stert die Fliegen abgewehrt.“Man konnte diesen Vers auch singen, eine alte Melodie war den Worten unterlegt. Es war ein besseres Lokal, wo auch die Herren vom Amtsgericht verkehrten. Willi Voges war ein Original, ein echter Hannoveraner, ein Preußenfeind und Weife. Er hatte Anno 1866 die Preußen einmarschieren sehen, und das wurmte ihn, obwohl er damals noch ein Kind war. Zwar verkehrten nur preußische Beamte bei ihm, aber weiß-gelb war seine Seele. Sommers, wenn Gerichtsferien waren, machten die Voges die Bude zu, gingen nach Barsinghausen am Deister, wo der Schwager eine kleine Wirtschaft hatte. Wenn Familie Voges in die Ferien reiste, wurde eine Tafel am Lokal angebracht: Das kleine Pferd ist auf Fettweide gegangen!“Tölle schlürfte den Kaffee, stopfte den schönen lockeren Topfkuchen in den Mund und zog seinen Mantel an. Beim Weggehen mahnte Mutter Luise, pünktlich zu sein, weil um eins gegessen werden sollte. Ja ja, ich muss mich doch bedanken und ein paar Pullen mitbringen.“Bei Voges standen noch die Stühle auf den Tischen. Tölle half mit, Ordnung zu machen. Aber... du hast doch Geburtstag“, lachte Voges. Na eben drum.“ Tölle sah mit Entzücken die Formen der kleinen Minna Klußmann aus Peine, die bei Voges im Dienst stand. Minna war siebzehn Jahre alt, hatte früh die Eltern verloren und war entfernt mit Frau Voges verwandt. Zu Tölle sagte sie Onkelchen“. Ihr Benehmen war sehr herausfordernd. Sie wusste, dass sie hübsch war, und turnte bei dem Aufräumen der Wirtschaft immer vor der Nase von Tölle herum, sie neigte sich zu ihm und flüsterte: Darfst dir was wünschen . . . Onkelchen, hast doch Geburtstag.“ Tölle wurde mutig: Na, geh mit mir auf den Schwof.“Voges fiel vor Lachen fast um, Minna zog die Augenbrauen hoch: Gemacht... mein Schatz.“ Dann packte sie den Briefträger beim Kopf und küßte ihn mitten auf den Mund. Das ist Vorschuß“, lachte sie. Tölle war verwirrt. Wassoll Voges denken? Aber Willi Voges dachte überhaupt nichts, wenigstens nicht mehr, als notwendig war.Tölle ließ Bier anfahren.Na... prost... du Lustgreis“, sagte Voges, die nächsten Vierzig noch weiter, hopp... hopp...!“Das war Glückwunsch und rechte Freude. Draußen fing es an zu schneien, und Tölle saß im Warmen, Minna neben ihm; nach dem zweiten Glas fasste er um ihre Hüfte. Sie kuschelte sich an ihn: Na... Onkelchen.“Mit Minna war es so, dass sie ein bisschen erholungsbedürftig war. In ihrer vorigen Stellung, kaum siebzehn Jahre alt, hatte sie einen Schatz gehabt. Es war der Sohn des Hauses, ein junger Mensch, noch nicht zwanzigjahre alt. Als die Eltern etwas merkten, flog Minna aus dem Hause. Das war in Hildesheim in der Steuerwalder Straße gewesen. Nun waren ihr die grünen Jungens“ zuwider, sie sehnte sich nach gesetzten Leuten“. Im Übrigen war Minna fromm und ging jeden Sonntag in die Christuskirche, wo Pastor Köthe so schön predigte. |