Karl Jakob Hirsch
1892 - 1952
Kaiserwetter
1931
Erster Teil
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Station
Die Schnellzüge halten nicht gerne dort. Ein einziger, abends acht Uhr neunzehn, hat eine Minute Aufenthalt. Es gab einen jahrelangen Kampf des Vorortverkehrs Vereins Bremen und Umgebung, bis das durchgesetzt wurde. Abend für Abend wurden um acht Uhr fünfzehn die Lichter auf dem Bahnsteig angezündet, Abend für Abend knurrte der Bahnhofsvorsteher so 'n Blödsinn«, denn der Personenzug um neun Uhr zehn brachte die meisten Passagiere. Der Schnellzug D 33 kam aus Bremen, eigentlich aus Hannover, auch hatte er ein oder zwei Berliner Wagen mit, die aber meistens leer waren. Irgendein Passagier sah aus dem Fenster, fragte den Stationsvorsteher: Wo sind wir denn?«, der sagte immer den Stationsnamen so undeutlich, dass man nichts verstand, gab das Abfahrtssignal, und vorbei war der ganze Spaß.Das Licht wurde gelöscht, denn es wäre ja reine Verschwendung gewesen, wenn er das hätte brennen lassen. Drinnen im Stationszimmer klingelte das Telefon, es war Pennigbüttel. Auch das war erledigt. Schranke zwei und drei wurden geöffnet. Es hätte ebenso gut unterlassen werden können, denn niemand kam jetzt die Straße herunter.Cohrs war müde. Er hatte die gestrige Nacht gesoffen, bei Wendelken drüben im Hotel. Hohenzollernhof' hieß das Ding, hatte aber nur zehn Zimmer und war veraltet.Albert Cohrs war Bahnhofsvorstand und trug eine rote Mütze. Er war verlobt mit Gesine Geffken, die aber vor ihm noch andere gehabt hatte. Cohrs war mit Hermann Wendelken befreundet, aber Gesinekannte ihn anscheinend noch besser. Cohrs war gestern sehr eifersüchtig gewesen, denn Hermann hatte die Gesine in seinem Wagen, einem alten Klapperkasten, nach Hause bringen dürfen, weil Cohrs gerade um elf Uhr einen Güterzug passieren lassen mußte und Gesine um elf zu Hause sein wollte. Gesine setzte alles durch, was sie wollte, Cohrs ging mit ihr« nun schon ein Jahr. Er hatte sie beim Schützenfest kennengelernt, da war sie sehr zutraulich und nett gewesen, und alles ging so, wie er wollte. Aber der Müller Geffken war alt und wünschte sich einen jungen Müller zum Schwiegersohn, ihm konnte auch die strahlendste Uniform nicht imponieren. Er sagte zu Cohrs oller Preuße«, obwohl seine Beamtenuniform nichts Militärisches an sich hatte.Geffken war eingefleischter Welfe und hißte an seiner Mühle am Geburtstag des alten, längst verstorbenen Königs Georg von Hannover die weiß-gelbe Flagge.Was seine stramme und blonde Tochter Gesine betraf, so schlug sie nach der Mutter, die vor langen Jahren mit einem Müllersknecht nach Amerika gemacht« hatte. Man muß bedenken, daß Geffken schon über fünfzig war, als er geheiratet hatte. Gesine war ein reizvolles Mädchen, das schon früh die Männer wild gemacht hatte. Man munkelte sogar von einem unehelichen Kind, das sie in Bremen bei Verwandten untergebracht hätte, aber das war vielleicht nur Klatsch. Der Bahnhofsvorsteher Cohrs hatte es sich in den Kopf gesetzt, sie zu heiraten, zum Erstaunen der Leute, denn Cohrs war ein sehr feiner und stiller Mann. Er stammte aus Geestemünde, wo sein Vater am Fischereihafen einen Posten als Verwalter hatte.Cohrs ging auch an diesem Abend, nachdem er den Personenzug abgefertigt hatte, zu Wendelken.Übrigens war mit dem Personenzug der Grundstücksmakler Thaler gekommen, hatte Cohrs freundschaftlichst begrüßt und war mit seiner kleinen Ledertasche in den Hohenzollernhof« gegangen.Was mochte Moritz Thaler wohl veranlassen, hier zu übernachten, drei viertel Stunden von Bremen entfernt, wo er doch eine schöne Wohnung hatte? Sollte er mit Wendelken was vorhaben? Will der etwa das Hotel kaufen?In Wirklichkeit war es so, daß Gesine den Hermann Wendelken gebeten hatte, mal herumzuhören, ob die alte Mühle nicht loszuschlagen sei. Das hatte sie ihm unter anderm gestern auf der Heimfahrt noch mitgeteilt. Man wollte den alten Geffken ins Altersheim nach Hannover bringen, und Gesine sollte mit Hermann das Hotel führen. Hermanns Frau war kränklich, und Hermann brauchte eine Stütze, Gesine wollte den Vater im Altersheim unterbringen. Was man mit Cohrs machen wollte, war unklar. Gesine wußte es auch nicht. Sie war seine Braut, nun ja, aber das nahm sie nicht so ernst. Und mit dem Heiraten hatte sie es gar nicht eilig. Sie wollte aus der alten Mühle heraus. Im Hotel konnte sie auch Geld verdienen, und unter den Herren Geschäftsreisenden gab es wohl manchen, der am Ende eine gute Partie werden würde. Wenn Hermanns Frau einmal ...Aber das wollte sie gar nicht denken, das war ja direkt schlecht, und so eine war sie nicht.Cohrs und Geffken waren ahnungslos über den Handel, der da erledigt werden sollte. Das hätte noch Zeit, meinte Gesine, als Hermann unruhig sagte: Du hast ja doch keine Vollmacht, und so geht das nicht...« Aber Gesine hatte ihm im kleinen Wäldchen gut zugeredet und ihn in jeder Weise zufriedengestellt, so daß er nachgab. Er hatte dann anderntags an Thaler telefoniert. Der war nun da.Als Cohrs in die Gaststube trat, saß Moritz Thaler beim Abendessen. Er aß drei Spiegeleier mit Speck und trank eine Flasche Rotwein dazu, das schwarze Brot tunkte er zum Schluß in die fettigen Überreste und wischte damit den Teller sauber. Thaler rief Cohrs zu: Da kömmt ja der Herr Eisenbahn persönlich!« und lachte schallend über den eigenen Witz.Cohrs ging vorsichtig näher, er wollte eigentlich lieber in die Gaststube gehen, die nebenan lag, denn hier war es ihm zu vornehm. Es gab drei Nischen, in denen Tische standen, weiß gedeckt und von je zwei roten Plüschsofas flankiert. Die ganze Pracht machte einen recht schäbigen Eindruck. In den Vasen aus gepreßtem Glas steckten staubige künstliche Blumen. Es roch im Zimmer nach kaltem Rauch, Bier und dem alten Plüsch. An der Wand hing eine prächtige Reklame des Norddeutschen Lloyd: Leben und Treiben auf einem Ozeandampfer. Man sah elegante Herren mit hohen Kragen und kühner Schiffermütze, vornehme Damen mit Wespentaille und kleinen Hütchen, die sich auf dem breiten Deck ergingen, während ältere Herren in Liegestühlen sich der Ruhe hingaben. Die charakteristischen gelben Schornsteine der Lloyddampfer waren sichtbar, und man sah auf einem der vertrauenerweckenden und beruhigenden Rettungsringe, die an der Reling hingen, den Namen des Schiffes.Unter dem Bild saß Moritz Thaler, klein, mit bläulich rasiertem runden Gesicht, einem englisch gestutzten Schnurrbart, der schon graue Fäden zeigte, auf dem Kopf einen glattgestrichenen Scheitel, mit dem das Haar nicht ganz einverstanden war, denn es kräuselte sich an manchen Stellen. Thalers Nase hing etwas über die Oberlippe. Er wirkte mit seinem gelben Teint durchaus jüdisch. Der Jude Thaler hieß er kurzweg, und er fand sich damit ab. Wie mit vielem in seinem Leben.Na... setz dich man her, Cohrs«, sagte Thaler in seiner gewaltsam derben Art, mit der er die Leute zu behandeln pflegte. Er duzte alle, das war aber nicht ernsthaft gemeint, es war die aggressive Abwehr eines isolierten und vereinsamten Menschen.Wendelken kam ins Zimmer. Na... du Gauner...«, sagte Thaler, und Wendelken lachte gutmütig. Sein mageres Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Er wußte, wer er war, und darum konnte er sich ruhig Gauner« titulieren lassen. Cohrs störte ihn heute, denn Gesine wollte noch kommen, das durfte Cohrs keinesfalls wissen.,,'n Abend, Cohrs, hast du deinen Jammer ausgeschlafen?«Das war man halb so schlimm«, lachte Albert, ich will mal rasch noch ein Bier trinken ...«Nee, nee, Cohrs, das trink man hier« sagte Thaler und zwinkerte mit dem an sich schon halb geschlossenen Auge zu Wendelken hinüber. Hermann verschwand und kam mit einem Glas Hemelinger Bier zurück.Thaler nuckelte an seinem Rotwein. Du oller Giftmischer«, sagte er zu Wendelken, das nennst du Bordeaux?« und erzählte strahlend den alten Witz: Zwei Juden kaufen sich eine Flasche Bordeaux und versuchen zu Hause, sie mit dem Korkenzieher zu öffnen, aber die Stanniolhülse läßt sich nicht abnehmen. Der eine zieht und schwitzt, der Korken rührt sich nicht.Endlich sagt der andere: Du Esel, was bohrst du da oben, siehst du nicht, da unten steht es doch: Bohr do!«Thaler beendete unter prustendem Lachen seinen Witz, aber seine Tischgesellschaft kicherte nur höflich. In solchen Augenblicken erwachte in Moritz Thaler der ganze Jammer des Lebens, er fühlte sich wie ein Weißer unter Negern.Cohrs erzählte dann weitschweifig von dem neuen Projekt der Eisenbahn wegen eines Umbaues des Bahnhofs, aber niemanden interessierte es besonders. Thaler sagte unvermittelt: Und Ihr Fräulein Braut, Herr Eisenbahnminister ... immer gut zuwege?«Ja, danke der Nachfrage«, er wolle nun bald heiraten, und der Herr Thaler müsse zur Hochzeit kommen, und der Wendelken würde schon ein feines Essen zurechtmachen. Aber Gesine wolle noch nicht so recht, wie so die Weiber sind. Na, meinte Thaler, er sei doch ein Mann, und das sei wohl die Hauptsache.Fahren Sie mal wieder nach England, Herr Thaler?« sagte Cohrs.Ach, ich weiß nicht, kömmt aufs Wetter an; von hier aus ist es ja ganz nah, die nächste Station ist ja Bremerhaven, und dann kömmt ja England.«Tscha«, sagte Cohrs, wer doch auch mal reisen könnte ...«Da mußten sie doch wahrhaftig lachen. Saß da ein königlich preußischer Eisenbahner und wollte gern Eisenbahn fahren.Er is sich ein gediegener Mensch«, sagte Wendelken, und Thaler lachte so, daß er rot anlief. Gib schnell mal drei Kognaks... fix«, schnauzte er und klopfte dem erstaunten Cohrs auf die Schulter: Feines Mädchen, leckeres Mädchen, wie man in Köln sagt... na, die wird wohl stramme kleine Cohrse absetzen, was?« Cohrs schämte sich, aber war geschmeichelt. Als Hermann mit den Kognaks kam, schlug die Uhr neun. Cohrs erschrak: Nun muß ich rüber.« - Kommst doch wieder?« fragte Wendelken scheinheilig, aber Cohrs verneinte, heute ging es nicht, er müsse noch bis zehn drüben bleiben und dann mal früh schlafen gehen, es täte ihm ja mächtig leid, aber... Lauf nur schnell, deine Eisenbahn brennt noch an«, rief Moritz Thaler.Cohrs rannte ins Dunkle über die Straße. Als er um die Ecke bog, glaubte er Gesine zu sehen. Aber das kann sie doch nicht sein, dachte er, Gesine ist doch zu Hause.Viel Zeit zur Besorgnis hatte Cohrs nicht, denn als er in die Station kam, läutete schon Block 18. |