Es wuselt in den Schulküchen des Fritz-Felsenstein-Hauses (FFH), einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit Körper- und Mehrfachbehinderung. Studierende der Technischen Hochschule Augsburg (THA) und Schülerinnen und Schüler des FFH arbeiten Seite an Seite. Das Ziel: Nudeln mit Tomatensoße für das gemeinsame Mittagessen. Die Stimmung ist lebendig und – wie in einer echten Großküche – manchmal auch angespannt. Alle möchten etwas beitragen, alle wollen mitmachen.
Genau das will das Projekt unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Christoph Zeuke erreichen: Selbstständigkeit und Teilhabe. Im sechsten Semester entwickeln Studierende der Lehrstühle Mechatronik und Elektrotechnik funktionierende Prototypen, die den Alltag erleichtern. Die Studierenden entwickelten alle Geräte so, dass sie sich über einen großen, leicht bedienbaren Taster steuern lassen.
Gemüseschneider mit Schubkraft
Die Kraft, um eine Karotte oder Zucchini für die Soße in gleichgroße Streifen zu schneiden, fehlt vielen Kindern im Fritz-Felsenstein-Haus. Deshalb erledigt das ein vollautomatischer Gemüseschneider. Er presst mit 30 Kilogramm Schubkraft das Gemüse durch ein Hobelsystem. Die Konstruktion wurde vor Ort noch optimiert – ein bewusster Teil des Lernprozesses: „Wir dürfen hier Fehler machen,” sagt Mechatronik-Student Quentin. „Im Berufsleben passiert’s nicht mehr.“
Pasta per Taster
Nicht nur Soße schmeckt frisch und selbstgemacht am besten. Auch Pasta. Deshalb haben die Studierenden hier gleich zwei Lösungen erarbeitet: Eine motorisierte Walze, die Teig in gleichmäßige Bahnen presst, sowie ein zweites System zur direkten Formgebung – etwa für Maccheroni. Diese werden von den Schülerinnen und Schüler mit einem Schaber abgenommen und anschließend in einer umgebauten Fritteuse gegart. Statt heißem Fett enthält diese Wasser. Der Korb senkt und hebt sich automatisch und wird von den Kindern per Taster gesteuert.
Grammgenauer Soßenportionierer
Für Staunen sorgte der von Studierenden aus Malaysia entwickelte Soßenportionierer mit integrierter Waage: Eine Pumpe transportiert auch stückige Soßen grammgenau auf Teller oder in Einmachgläser. Auch diese Lösung wurde am Vormittag noch angepasst. Der Motor drehte zunächst nicht kräftig genug. Doch pünktlich zum „Essen fassen“ tat sie ihren Dienst.
Die Kaffee-Fans des Hauses freuen sich über eine modifizierte Kaffeemühle, die nach dem Prinzip eines E-Bike-Motors funktioniert. Das ermöglicht ein Mahlen ganz ohne Kraftanstrengung.
Ergänzt wurde das Küchenprojekt durch eine Bachelorarbeit zur Pupillensteuerung: Ein Eye-Tracking-System, das es ermöglicht, Geräte durch Blickbewegungen zu bedienen – konzipiert für Menschen mit schwersten körperlichen Einschränkungen.
Lernen auf beiden Seiten
„Unsere Studierenden lernen hier, wie echte Produktentwicklung funktioniert. Und sie nehmen das sehr ernst. Vor der Übergabe wird die ein oder andere Überstunde freiwillig eingelegt. Ihnen war wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler am Präsentationstag mit den bestmöglichen Maschinen arbeiten“, erzählt Prof. Christoph Zeuke.
Für das Fritz-Felsenstein-Haus geht es um mehr als funktionierende Technik. „Unsere Schülerinnen und Schüler sind es gewohnt, dass für sie entschieden wird“, sagt Roland Salvamoser, der das Projekt auf FFH-Seite betreut. „Hier dürfen sie mitgestalten. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl enorm.“
„In der Zusammenarbeit mit der THA zeigt sich, wie viel möglich ist, wenn Menschen mit und ohne Handicap gemeinsam anpacken“, freut sich FFH-Einrichtungsleiter Gregor Beck. „Und dass man über Technik wunderbar ins Gespräch kommt – dieses Mal sogar an einer langen, gemeinsamen Tafel.“
Partner aus der Industrie
Damit solche Entwicklungen möglich werden, braucht es Unterstützung durch Partnerunternehmen. Würth Elektronik sponserte unter anderem den Zylinder, der genug Druck auf das Gemüse bringt. Die Gehäuse fertigten die Auszubildenden der RATIONAL AG in der Lehrwerkstatt. „Wir unterstützen das Projekt aus voller Überzeugung. Nicht nur, weil es Menschen mit Einschränkungen direkt zugutekommt, sondern auch, weil unsere Auszubildenden viel dabei lernen. Fachlich und persönlich“, sagt Daniel Goller, Ausbildungsleiter bei der RATIONAL AG.
Und wie geht es weiter? Die Hochschule denkt über einen neuen Studiengang im Bereich Medizintechnik nach. Künftig könnten so auch Prototypen für Rollstühle, robotische Assistenz oder Steuerungssysteme entstehen. Denn eines ist klar: „Technik kann Barrieren abbauen“, sagt Prof. Christoph Zeuke. „Aber nur, wenn wir sie nicht über Menschen hinweg entwickeln – sondern mit ihnen.“