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Prof. Dr. Georg Erdmann

Interview zum digitalen Sommersemester 2020

 
18.08.2020

Das dritte Interview in unserer Reihe zum Rückblick auf ein ungewöhnliches Sommersemester 2020 führte Dr. Julia Sonnberger mit Prof. Dr. Georg Erdmann durch. Professor Erdmann lehrt an unserer Hochschule seit fünf Jahren v.a. zum Themenfeld Kosten- und Leistungsrechung und engagiert sich zudem als Prodekan der Fakultät Wirtschaft.

Wie sah denn ein normaler Tag mit im unnormalen Sommersemester 2020 bei Ihnen aus?

 

Hier unterscheide ich die Tage, die Lehre beinhalteten und die Tage, die zur Vorbereitung oder für Korrekturen zur Verfügung standen. Diese Nicht-Lehrtage waren eigentlich wie immer, vielleicht mit dem kleinen Vorteil, dass ich Sprechstunden deutlich flexibler vereinbaren konnte und dadurch technisch besser abwickeln konnte. Das würde ich als einen Fortschritt sehen, dass man nicht nur feste Sprechstunden hat, wenn man an der Hochschule ist, sondern, dass man an den Nicht-Vorlesungstagen individuell mit Studierenden, oder auch Kollegen, Termine vereinbaren konnte. Die Vorlesungstage selbst waren - auch hier unterscheide ich zwei Phasen - in der ersten Phase eine Herausforderung. Da es eine Umstellung ist, dass man nicht wie gewohnt - ich bin seit 11 Jahren Dozent, das seit 5 Jahren an der HS Augsburg - in einen Hörsaal geht und seine Lehre abhält. Das war anderes, weil es Unwägbarkeiten gab: Technische, organisatorische, und in der Abwicklung. So gab es eine gewisse Grundnervosität, die sich aber nach drei bis vier Wochen bis Ostern gelegt hat. Das war dann ein wenig wie früher: die ersten Vorlesungen waren auch eine Herausforderung (lacht).

Die Vorlesungstage selbst waren sehr strukturiert, die Studierenden und ich, haben sich sehr gut an den Zeitplan gehalten (sie hatten ja auch gar keine andere Möglichkeit); vielleicht noch mehr als in der Präsenz. Denn normalerweise warten die Studierenden, bis der Dozent in den Hörsaal kommt. Bei einer Online-Vorlesung kommt man nicht zu spät, da beginnt man pünktlich. Die Online-Vorlesungen fordern einen mehr als Präsenz, man ist deutlich konzentrierter in der Video-Lehre als im Hörsaal. Ich habe alle Vorlesungen online durchgeführt und aufgezeichnet, die Filme hochgeladen, damit die Studierende die Inhalte nachbearbeiten können. Das war eine besondere Herausforderung: zum Einen, dass man noch konzentrierter sein muss, als im Hörsaal - da sehe ich schon mal aus dem Fenster, wenn die Studierenden etwas berechnen. Das habe ich mich online nicht so getraut, dass die Studierenden selber etwas machen; ich habe das Gefühl gehabt, es sei viel weniger Zeit als in Präsenz. Obwohl wir Netto mehr online-lehren konnten z.B. durch den Wegfall von Oster- und Pfingstdienstag. Zum Anderen war es anstrengender durch die erhöhte Konzentration und, dass man es vermied, Witze zu machen, oder mit Ironie die Studierenden zu erreichen. Das geht im Hörsaal, denn wenn es keiner verstanden hat, dann kann ich sagen “Leute, das war ein Witz” und sie fangen zu lachen an. Aber Online - das habe ich mich nicht getraut. 120 Leute mit Ironie zu erreichen - das schafft vielleicht der Comedian im Fernsehen, aber ich sehe mich dazu nicht geeignet.

Welche Veranstaltungen haben Sie beispielsweise wie konkret umgesetzt und wie haben Sie diese online konzipiert? Nenne Sie gerne ein Beispiel...

 

Das sind einmal Vertiefungsveranstaltung, die im 5. bis 7. Semester laut Studienplan ablaufen, und ein anderer Teil sind es die Grundlagenveranstaltung, da habe ich das 4. Semester gehabt. Sowohl für den B.A. Betriebswirtschafts als auch für den B.A. International Management, also in Deutsch und in Englisch. Zwischen den beiden möchte ich unterscheiden: einmal sind es die Großveranstaltungen, da habe ich Frontallehre abgehalten - unterstützt mit Vorlesungsunterlagen mit Übungen und Lösungen, die in Moodle bereitgestellt worden sind. Das mache ich aber auch sonst immer: ich plane mein Semester durch, d. h. . ich gebe den Studierenden am ersten Semestertag einen Vorlesungsplan und dann wissen sie bei mir von Beginn an, welcher Stoff wann drankommt und wenn etwas ausfällt, weil ich nicht da bin, z.B. in einer Senatssitzung. Dieses Programm habe ich fast 1:1 wie im Hörsaal angeboten - abgesehen von der Interaktion. Ich habe sehr viel Folien gezeigt, aber zwischendrin auch einen Medienwechsel gemacht, indem ich eine Pingo-Umfrage eingebaut habe. Ich habe weder Moodle-Umfragen technisch genutzt, auch die Zoom-Umfragen nur einmal eingesetzt. statt dessen habe mich an Pingo herangewagt. Das hat aus meiner Sicht gut funktioniert, wie es didaktisch ankam, kann ich weniger beurteilen. Zudem habe ich ein Whiteboard eingesetzt. Ich bin auch sonst jemand, der im Hörsaal sehr präsent ist und interaktiv ist; und das habe ich versucht mit dem Whiteboard zu modulieren. Die Whiteboardaufzeichnungen habe ich im Anschluss als PDFs zur Verfügung gestellt. Meine eigenen Mitschriften, so meine Gedanken, die mir zu den Folien kamen, ebenso. Das war also Frontallehre, die die Studierenden live besuchen, aber auch theoretisch zu jeder anderen Zeit hätten nachholen können.

Das heißt, Sie konnten die stabile Grundkonzeption der Präsenzlehre übernehmen und mussten nur die einzelnen, ausgefallene Elemente der Präsenzlehre mit Zoom, Pingo, usw. ersetzen? Ihr Gerüst scheint Ihnen immens dabei geholfen zu haben.

 

Definitiv. So konnte ich mich nur auf die technischen Herausforderungen konzentrieren. Ich habe aber allerdings noch die Lehrmaterialien semsterbegleitend ergänzt. Das liegt an meinem Fachgebiet - ich bin sehr stark zahlenlastig. Normalerweise male ich Rechnungen an die Tafel, das habe jetzt in Excel erstellt und habe dadurch den Studierenden ermöglicht, selbst Rechnungen nachvollziehen zu können. Das heißt, ich habe nun die Rechnungen - auch für mich wertvoll - in Excel-Dateien mit Grunddaten, die wir in der Vorlesung durchgesprochen hatten. Das habe ich nun digital, auch zu meinem eigenen Nutzen, für die kommenden Semester.

In den kleineren Kursen, das heißt den Vertiefungen, da sitzen zwischen zw. 10 und 15 Studieren im Kurs, dort nutze ich dasselbe organisatorische Lehrgerüst, doch versuche ich immer die Studierenden stärker einzubinden. Beispielsweise habe ich sie aufgefordert konkrete Fragen zu stellen, ich habe ihnen ermöglicht die Kamera und das Mikro anzumachen - nicht, dass ich es verboten hatte, aber in den Großgruppen haben die allermeisten nur im Chat geschrieben. Das war nicht genauso, aber sehr ähnlich zu der der Situation im Hörsaal.

Wenn Sie rückblickend an die Herausforderungen denken, was fällt Ihnen dazu ein? Und wenn, wie haben Sie diese gelöst?

 

Das sind sicherlich die technischen Herausforderungen, da man nicht darauf vorbereitet war...Welches Whiteboard nutzt man und wie kombiniert man das mit Zoom? Wie verhindert man Rückkopplungen? Da haben die Kollegen vom DMZ sehr geholfen, z.B. ein Beratungsgespräch mit Herrn Kipp um 7:15 Uhr, damit ich meine Vorlesung um 8:00 Uhr abhalten kann. Das zweite war, sich daran zu gewöhnen, dass man anders kommunizieren muss. Das dritte vielleicht, noch die Fürsorge, so möchte ich es nennen, für die Studierenden, das Denken, wie geht es den anderen? Da sitzen nun Leute, die sitzen in ihrer WG oder bei ihren Eltern oder auch im Ausland - von Mexiko bis Seoul - wie geht es denen jetzt?! Das heißt, die Situation - abgesehen von der Hochschule - die Situation in den letzten Monaten, die sehr beeindruckend war.

Wie haben Sie sich denn gefühlt als Dozent? Wie ging es Ihnen mit der digitalen Lehre?

 

Insgesamt ist es gut gelaufen und hat besser geklappt als gedacht! Auch für mich persönlich. Ehrlich gesagt vermisse ich den Hörsaal. Aber ich unterrichte auch gerne wieder online - es erhöht die Flexibilität, die wir ohnehin schon haben. Es erhöht die Flexibilität, Lehrmethoden anders einzusetzen - zu ergänzen. Ich weiß nicht, ob der Lernerfolg derselbe sein wird, das wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Aber: jetzt können wir das auch und das kann man gerne der Präsenz beimischen!

Wie haben die Studierenden aus Ihrer Sicht auf die Online-Lehre reagiert?

 

Ich kann da nur aus meinen Evaluationen zitieren und aus den Gesprächen mit den Fachschaftsvertreter*innen des Fakultätsrats. Die waren in den ersten Wochen hellauf begeistert, dass wir so schnell mit der Online-Lehre begonnen haben...nach einer Woche war es so, dass an unserer Fakultät quasi alle Veranstaltungen online genau in den Zeitfenstern abgehalten worden sind. Nach der Anfangseuphorie kam dann eine objektivere Sichtweise und es wurde gesehen, wo es hakt: z.B. schlechte WLAN-Verbindungen, oder, dass wenige Kolleg*innen sich trauen, Aufzeichnungen online zustellen. Es kamen aber nicht nur Mängel, sondern auch Anregungen, wie es man noch besser machen kann - sei es technisch oder didaktisch. Ab Mitte Mai kamen dann Fragen auf, wie die Prüfungen ablaufen werden. Das war dann schon ein zusätzlicher, emotionaler Stress für uns und die Studierenden: Wie werden wir geprüft? Wie kann das funktionieren? Steht alles Online? Muss ich das Semester wiederholen...Das war für die Studierenden eine weitere Belastung: ungewohnte Situation, ungewohnte Rahmenbedingungen außerhalb, technische Schwierigkeiten und noch die Prüfungen, die man ja bestehen möchte, um kein Semester zu verlieren. Das hat, glaube ich, für die Studierenden nochmals zusätzlich für Belastung gesorgt.

Wenn Sie nochmals an die konkrete Lehre denken - nicht an die Prüfungen, wie viele Studierende haben an den Veranstaltungen teilgenommen? Mehr oder weniger als normal?

 

In den beiden Vertiefungsgruppen waren eigentlich immer alle da. Bei den beiden großen Gruppen habe ich ab der Mitte des Semesters 10-20% verloren. Aber: Im Hörsaal sind auch nicht immer alle Studierenden das ganze Semester da. Während des Online-Semesters habe ich aber einen etwas größeren Verlust gehabt; es ist online wohl leichter mal auszusetzen, nach dem Motto: “Der Erdmann lädt es ja sowieso hoch, da kann ich auch mal fehlen”.

Rückblickend und zusammenfassend: Wovon haben die Studierenden am meisten profitiert?

 

Positive Rückmeldung gab es bezogen auf die Ortsunabhängigkeit und, dass man sich die Anfahrt sparen kann, und dann zusätzlich die zeitliche Unabhängigkeit und Gehörtes nochmals nachzuschauen. Das ist v.a. für die Studierenden, die sich vertiefend mit dem Stoff auseinandersetzen. Das führte aber dazu, dass der Vor- und Nachbereitungsaufwand höher war als bei Präsenzkursen. Präsenzkurse verlangen weniger Eigenarbeit als die Online-Variante. Die Studierenden haben also mehr machen müssen. Wobei ich nicht weiß, ob das negativ ist (lacht). 

Was möchten Sie Ihren Studierenden raten, wie man erfolgreich online studiert?

 

Das hängt davon ab, welches Szenario der jeweilige Lehrende anbietet. Bezogen auf meine Szenarien: Seht, dass ihr digital dabei seid, wenn es Live-Vorlesungen gibt, versucht diese mitzunehmen! Zweiter Tipp: seht Euch vor der Veranstaltung 10 Minuten das Skript an, damit ihr darauf vorbereitet seid, was drankommt (Das gilt auch für die Präsenzvorlesung)! Dann, natürlich nach der Veranstaltung, macht eine Nachbereitung, dessen, was habt ihr mitgeschrieben, was ihr gehört habt, wo sind offene Punkte und nehmt diese Fragen dann mit in die nächste Veranstaltung. Also nicht so viel anders als bei der normalen Lehre - aber gefühlt mit mehr Disziplin! Dabeibleiben und traut euch, in der großen Gruppe etwas zu fragen! Sprache ist immer noch anders als Text im Chat. 

Was werden Sie in die normale Lehre übernehmen, wie würden sie diese ergänzen?

 

Definitiv diese zusätzlichen Möglichkeiten, Programme zu nutzen; Excel beispielsweise. Das werde ich auch im Hörsaal einbauen. Zwar habe ich das bereits mal gemacht, aber jetzt konsequent…. Praktisch jedes Mal in Excel, jede Aufgabe nun zu hinterlegen, das werde ich übernehmen. Auch werde ich Online-Vorlesungen anbieten, falls ich z.B. mal einen externen Termin habe. Nicht jede Woche, aber auf alle Fälle als Ersatz. Das erhöht für uns die räumliche Unabhängigkeit. Das kann man für die Zukunft mitnehmen und ich denke, so gibt es weniger Unterrichtsfall!

Welches ist aktuell Ihr Lieblingstool für Ihre digitale Lehre?

 

Technische Tools für die Online-Lehre.... ist Zoom, es ist sehr stabil, bei andere Themen sieht man das Go-to-Meeting, mit Teams werde ich nicht so warm und für die Lehrunterstützung ist Moodle sehr gut. Breakout-Rooms setzte ich nicht ein, Gruppenarbeiten mache ich auch in Präsenz nicht, so dass beispielsweise Studierende in 4erGruppen etwas berechnen müssten. 

Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich für die Hochschullehre? Wie sieht - Ihrer Meinung nach - die Hochschullehre der Zukunft aus?

 

Ich bin ein großer Freund von persönlicher Betreuung. Wenn ich aber mal zukunftsseitig denke, dann kann ich mir vorstellen, dass man Grundlagenthemen, und damit größere Gruppen, technisch und didaktisch geplant, online abbildet. 100 Leute in einem Hörsaal und einer turnt vorne herum, das kann es eigentlich nicht das Ideal sein. Den Lernerfolg kann man auch anders herstellen. Man könnte unsere Kapazitäten zweiteilen: ein Teil geht in Richtung gute Grundlagenveranstaltungen live-online und für viele. Und der andere dann in die Präsenz: intensive Kleingruppenarbeit, Projektarbeit, Fallstudien, Rausgehen in Unternehmen, Diskussionen...auch schon im Bachelor. und dann den Master obendrauf. Das könnte eine spannende Sache sein und die Hochschule Augsburg könnte sich da profilieren.