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Prof. Dr. Maria Lehner

Interview zum digitalen Sommersemester 2020

 
07.08.2020

Frau Professor Maria Lehner lehrt an der Fakultät Wirtschaft in den Bereichen Mikroökonomie und Ökonometrie/empirische Wirtschaftsforschung. Hier berichtet sie im Gespräch mit Dr. Julia Sonnberger rückblickend über ihre Erfahrungen im ungewöhnlichen Sommersemester.

Wie sah denn ein normaler Tag mit im unnormalen Sommersemester 2020 bei Ihnen aus?

 

An einem normalen Vorlesungstag bin ich - weil ich nicht pendeln musste - etwas später aufgestanden als sonst, womit sich unser Familienleben morgens etwas weniger stressig gestaltet hat. Wir haben einen Arbeitsplatz mit Kamera und Mikrofon aufgebaut und von dort habe ich dann meine Vorlesungen abgehalten. Nach Ende der Vorlesungen mussten noch die Vorlesungsvideos aufbereitet und hochgeladen werden. An den anderen Tagen, an denen ich keine Veranstaltung hatte, das Übliche: Vorbereitung der Veranstaltungen.

Welche Veranstaltungen haben Sie beispielsweise umgesetzt?

 

Diese Semester habe ich zwei große Veranstaltungen angeboten: Mikroökonomie im BW- (= Betriebswirtschaft, Anm. JS) und Microeconomics im IM-Studiengang (International Management, Anm. JS) Studiengänge mit so um die 100-150 Teilnehmenden. Diese beiden Veranstaltungen habe ich mit Live-Zoom-Veranstaltungen durchgeführt. Zuerst hatte ich überlegt, ob ich den Theorieteil als Video aufnehme und den Studierenden über die Cloud zur Verfügung stelle, die Gruppe in vier Kleingruppen aufteile und einen Übungs- und Diskussionsteil dazu anbiete. Aber es gab in beiden Großgruppen den ausdrücklichen Wunsch, dass komplett alles - der Theorie und der Übungsteil mit Diskussion -  live stattfindet und so habe ich das dann umgesetzt. Die Studierenden brachten das dann auch später in den Lehrevaluationen zum Ausdruck, dass das Live Angebot über Zoom sehr geschätzt wurde. Meine Idee war eigentlich, dass sich die Studierenden die Theorie über Videos aneignen - jeder wenn er Zeit hat - und der praktische Teil in kleineren Gruppen stattfindet; dieses Format möchte ich gerne in Zukunft noch ausprobieren und bin gespannt, wie das Feedback sein wird.  

Dann hatte ich noch eine kleinere Veranstaltung, Internationales Finanzmanagement, mit nur 15 Studierenden. Hier haben wir uns live über Zoom getroffen und die Studierenden bearbeiteten Übungsaufgaben zu Hause, und hielten zusätzlich eine Präsentation per Zoom. Das hat gut funktioniert. Im Nachhinein würde ich jedoch fordern, dass alle Studierenden – auch die Zuhörenden - die Kameras während der Präsentationen einschalten. Das war übrigens auch ein Nachteil für mich, immer nur in den Computer zu sprechen, ohne Gesichter zu sehen. Ich kann nicht so ganz verstehen, warum man nicht verlangen kann, dass die Studierenden die Kamera einschalten: Im Hörsaal sieht man sich ja auch! Die Studierenden haben auch angemerkt, dass sie es als komisch empfanden, während ihrer eigenen Präsentationen nicht in Gesichter schauen zu können.

Dann hatte ich noch ein Seminar, da ging es um wissenschaftliches Arbeiten. Dort musste eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben werden und die Ergebnisse wurden ebenfalls über zoom präsentiert. Die Feedbackgespräche - zwischendrin und am Ende - haben wir auch per Zoom geführt. Das würde ich auch zukünftig so machen, wenn die Präsenzlehre wieder der Normalfall ist, da es einfach effizienter für alle ist.

Ein wenig haben Sie es schon angedeutet, doch nochmals konkret die Frage, wie haben Sie Ihre Online-Lehre konzipiert? Wie sind Sie dabei vorgegangen?

 

Dieses Semester wusste man ja erst ein paar Tage vorher, dass man überhaupt online-lehren durfte. Man hatte also nicht so furchtbar viel Zeit, ganz andere Konzepte für die Online Lehre auszuarbeiten.  Meine beiden Großveranstaltungen habe ich somit im Prinzip ähnlich wie in der Präsenzlehre angeboten. In den ersten Tagen und Wochen lief dann alles wunderbar, ich war froh, dass die Umstellung so gut geklappt hat, und die Studierenden schienen auch recht zufrieden. Ich sehe aber auch, dass man Online ganz andere Lehrformen mit einarbeiten kann, zum Beispiel, dass man Veranstaltungsteile als Videos zur Verfügung stellt, die man separat aufnimmt ohne dass die Studierenden live dabei sind und dann den Studierenden zur Verfügung stellt. Damit hätte man mehr Möglichkeiten zur Kleingruppenarbeit.  Eine solche Aufteilung könnte man aber sicher auch in der Präsenzlehre umsetzen. Ich fand diesen Aspekt ganz schön, dass man durch die Online-Lehre auf Ideen kam, die man auch später in der Präsenzlehre noch umsetzen kann.

Sie haben schon einige Herausforderungen angesprochen, z.B. das Problem, dass Studierenden ihre Kamera nicht freigeben. Wo gab es denn aus Ihrer Sicht die größten und wie haben Sie diese ggf. lösen können.

 

Also, ich würde sogar sagen, es gab gar nicht so viele Herausforderungen. Wie gesagt, denke ich, dass man das Freischalten der Kamera einfordern könnte, dann wären die Veranstaltungen lang nicht so anonym. Es wäre für die Studierenden ja auch ganz schön, wenn sie nicht nur mich sehen, sondern auch ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen. Ich habe das in einer kleineren Veranstaltung versucht einzufordern und mehrmals im Vorfeld per eMail angeregt, die Kamera freizugeben. Das haben dann zwar auch ein paar Studierende gemacht, aber nach kurzer Zeit haben die meisten die Kamera doch wieder ausgeschaltet. 

Ansonsten gab es noch ein Thema, nämlich, dass die Funktion der Breakout-Rooms in Zoom nicht den allergrößten Anklang bei den Studierenden gefunden hat. Mit dieser Funktion kann man die Studierenden in Kleingruppen einteilen, so dass Fragestellungen gemeinsam durch die Studierenden in der Kleingruppe bearbeiten werden können. Dieses Instrument habe ich immer wieder eingesetzt, eigentlich jede Woche. Das ist aber von vielen nicht ganz so gut angenommen worden, auch wenn ich angeregt hatte, dass alle ihre Kamera und Audio einschalten, damit die Studierenden sich untereinander gut austauschen können. Es kam aber immer wieder der Hinweis, dass viele Studierende keine Lust haben, sich innerhalb der Kleingruppen einzubringen. Das fand ich irgendwie schade und muss sehen, wie ich das in den nächsten Semestern umsetze.  Vom Prinzip her ist diese Funktion jedoch sehr gut und ein interessanter Aspekt davon, jedes Mal mit anderen Studierenden in einer solchen Kleingruppe zusammengewürfelt zu werden, müsste doch eigentlich auch sein, dass man sich auch mal mit anderen Leute austauschen kann und andere Studierende kennenlernt. Vielleicht könnte man hier ja noch mit Bonus-Punkten Anreize setzen?!

Daran anknüpfend, die nächste Frage, wie haben die Studierenden auf die Online-Lehre reagiert? Und zweitens, wie war die Beteiligung aus quantitativer Sicht?

 

Die Studierenden erscheinen mir zweigeteilt - die einen finden die Online Lehre super, die anderen nicht und wünschen sich die Präsenzlehre zurück. Ich fand jedoch, dass in den großen Veranstaltungen viel mehr Interaktion stattfand - auch die Chat-Funktion ist sehr gut angenommen werden. Die Studierenden haben über die Chat Funktion ständig Fragen gestellt, sich gegenseitig Fragen beantwortet, und Diskussionen losgetreten. Das hat viel besser funktioniert als in der Präsenzlehre. Viele Studierende haben in den Feedback-Bögen geschrieben, dass sie oft Hemmungen haben, in einem großen Raum vor allen anderen Fragen zu stellen. Somit ist diese Anonymität der Online Lehre zwar einerseits nicht so schön, andererseits trauen sich jedoch deutlich mehr Studierende, sich zu beteiligen. Die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war ähnlich wie in der Präsenzlehre.

Das klingt alles ziemlich begeistert, hatten Sie bereits vorher Online-Lehre ausprobiert?

 

(lacht) Nein, gar nicht. Und so schlimm die Gesamtsituation aufgrund von Corona gerade ist - es war ganz gut, dass jeder ins kalte Wasser springen musste und die Online-Lehre einfach ausprobieren musste. Es ist ja auch kein Kunstwerk und viele realisieren jetzt, welche Vorteile es haben kann und werden sicherlich einiges in die Präsenzlehre übernehmen.

Man könnte also sagen, Sie haben sich insgesamt wohlgefühlt?

 

Ja, sehr. Ich fand, dass in Zoom viele Features integriert sind: Die Breakout Rooms, oder auch die Abfragen, die man ganz schnell einfließen lassen kann, z.B. indem man Lösungen zu Aufgabenstellungen abfragt. Damit können die Studierenden sich selbst einschätzen und sehen, wo sie im Vergleich zur Gruppe stehen. Auch Fragen wie: “Bin ich zu schnell? Bin ich zu langsam? Kommen Sie alle mit?” kann man damit sehr gut sehr schnell abfragen. Was ich auch ganz gut fand ist, dass fast alle Studierenden sich mit Vor- und Nachnamen eingeloggt haben. So kann man die Studierenden direkt ansprechen, was man im Hörsaal nicht machen kann, so à la “Was meinen Sie dahinten -  mit dem roten Pulli”. Das macht es dann sogar etwas persönlicher als in der Präsenzlehre - wenn man dann halt nur noch die Gesichter sehen könnte (lacht).

Ich fand auch, auch wenn das vielleicht nicht das Wichtigste ist, dass die Online Lehre physisch viel weniger anstrengend ist - man steht nicht den ganzen Tag, man muss die Studierenden nicht ermahnen, dass sie bitte ruhig sein sollen, wenn es zu laut wird. Wir haben zwar natürlich Mikrofone - aber mit dem großen Gruppen ist es im Hörsaal schon anstrengender, wenn man zusehen muss, dass alle mitkommen.

Was möchten Sie Ihren Studierenden raten, wie man erfolgreich online studieren kann - gibt es, im Vergleich zu Präsenz, andere Tipps?

 

Viele haben in der Lehrveranstaltungsbefragung geschrieben, dass sie sich leicht ablenken lassen, wenn sie am Computer sitzen. Meine Tipps: Man sollte sich die Zeiten blocken, in denen Veranstaltungen stattfinden, das Handy ausmachen, damit man sich auf die Kurse fokussieren kann...Man könnte sich über Zoom mit anderen Studierenden in Kleingruppen treffen, wie so eine Art study groups, damit man gemeinsam lernen und sich austauschen kann. Dann fühlt man sich vielleicht auch nicht so allein. Ja, und dass man einfach eine gewisse Disziplin aufbringt! Ich denke, es ist schon mehr Disziplin nötig, wenn man die meiste Zeit zu Hause und nicht an der Hochschule ist. 

Wovon haben die Studierenden am meisten profitiert?

 

Das habe ich mehrfach während meiner Veranstaltungen abgefragt: Eine Hälfte, wünscht sich weiterhin Online Lehre und die andere Hälfte möchte Präsenzveranstaltungen besuchen. Aber die Studierenden nannten viele Vorteile: es sei leiser, sie können alles gut sehen, sie könnten viel konzentrierter mitmachen, da sie nicht von der Hörsaalumgebung abgelenkt sind; aber auch so lustige Dinge wie “das Sofa ist bequemer und die Kaffeemaschine steht nicht weit weg oder die Luft ist besser” wurden genannt. Viele Studierenden meinten, dass sie nicht pendeln müssen, und es einfacher sei das Studium mit der Familie zu vereinbaren. Auch die Chatfunktion wurde sehr positiv bewertet, weil die Studierenden selbst sagen, dass sie sich trauen mehr zu sagen. Dies alles steht den Herausforderungen gegenüber: wie z.B., dass man sich online schlecht so lange konzentrieren kann. Es wurde der Wunsch geäußert, dass nach spätestens einer Stunde eine 15-minütige Pause nötig sei. Ich habe das dann so umgesetzt, was positiv aufgenommen wurde. Ich habe die Studierenden dann gefragt, ob sie eigentlich in der Präsenzlehre auch mehr Pausen brauchen würden, was sehr stark bejaht wurde. Auch das wäre etwas, was ich in die Präsenzlehre übertragen würde. Wenn somit alle konzentrierter zuhören können, ist das doch viel besser!

Sie deuten immer wieder an, Sie würden einige Anregungen aus der Online-Lehre in die Präsenzlehre übernehmen?

 

Ich werde ausprobieren, den Theorieteil separat aufzunehmen und als Videos zur Verfügung stellen. Ich werde auch in der Präsenzlehre mehr Pausen einstreuen. Feedbackgespräche oder 1:1 Besprechungen mit Studierenden wie z.B. zu Bachelorarbeiten etc. werde ich in Zukunft auch eher digital anbieten - wieso sollen die Studierenden dafür extra an die Hochschule kommen? Des öfteren biete ich doppelte Gruppen an -  vorausgesetzt es gelingt organisatorisch, würde ich in Zukunft gerne eine Online und eine Präsenzgruppe anbieten. Die Studierenden können sich dann aussuchen, an welcher Gruppe sie lieber teilnehmen wollen. Vielleicht sind dann beide Gruppen von Studierenden, diejenigen, die die Online Lehre bevorzugen, und diejenigen, die die Präsenzlehre bevorzugen, zufriedener?!

Was ich auch weiterhin machen möchte, ist, viele Videoaufzeichnungen hochzuladen, damit die Studierenden sich diese in Ruhe und vielleicht auch mehrmals ansehen können. Auch wenn bei einer Abfrage herauskam, dass nur 10-15% sich die Videoaufzeichnungen ansehen kam es mir so vor, als ob die Videoaufzeichnungen sehr stark geschätzt werden! Es gab sogar den Wunsch nach Aufzeichnungen aus vergangen Veranstaltungen.

Das heißt, wenn sie gleich Ihre Lieblingstools für Ihre digitale Lehre nennen, gehört Zoom auf alle?

 

Ja, genau Zoom. Auch moodle habe ich schon immer  genutzt, aber jetzt neue Funktionen  kennengelernt - da möchte ich zukünftig weitere Funktionen ausprobieren wie z. B. die Quizzes. Was ich auch interessant fände sind Tools für Online-Prüfungen. Ich habe keine Ahnung wie das funktionieren könnte - aber man scheint Fragen nach dem Zufallsprinzip an Studierende verteilen zu können, so dass es keinen Sinn machen würde, wenn die Studierenden mit dem Handy untereinander kommunizieren. Da kann man sich sicherlich einige andere Tools noch ansehen.

Was wünschen Sie sich für die Hochschullehre? Wie sieht - Ihrer Meinung nach - die Hochschullehre der Zukunft aus?

 

(lacht) Ja, ich denke, es wäre ganz schön, wenn Elemente der digitalen Lehre und der Präsenz verbunden werden können. Präsenzlehre hat viele Vorteile, aber es wäre schön beides verbinden zu können. Und: Wenn man es mit digitalen Elementen hinbekommen könnte, dass man insgesamt kleinere Gruppen anbieten kann könnte man so die Präsenzlehre unterstützen und verbessern.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass man komplett digitale Studiengänge oder Weiterbildungsangebote entwickeln und anbieten könnte – das würde bestimmten Gruppen, wie z.B. Berufstätigen, familiär stark eingebundenen Personen oder internationalen Studierenden die Aufnahme und das Absolvieren eines Studiums stark erleichtern. 

Prüfungen sind noch ein Stichwort - mir kommt es so vor als wären die Prüfungen besser ausgefallen, vor allem bei Fragen, bei denen es um das Verstehen geht. Da habe ich es dieses Semester öfter als sonst erlebt, dass viele Studierende gute Ideen formuliert haben. Das wäre ja schön, wenn durch das Mehr an Materialien und Interaktion die Studierenden sogar tatsächlich mehr mitnehmen konnten als sonst.