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Prof. Robert Rose

Interview zum digitalen Sommersemester

 
Prof. Rober Rose lehrt an der Fakultät Gestaltung.
08.09.2020
Professor Robert Rose lehrt und forscht an der Fakultät Gestaltung, dort hat er die Leitung für die AV-Studios und die Werkstatt für Audio und Video inne. Darüber hinaus ist er Mitglied im Fakultätsrat Gestaltung. Im Gespräch mit Dr. Julia Sonnberger berichtet er über seine Erfahrungen mit dem besonderen Sommersemester 2020.

Wie sah denn ein normaler Tag im unnormalen Sommersemester 2020 bei Ihnen aus?

 

Bei uns (damit meine ich meine Frau, die auch an der Hochschule arbeitet, und mich) sah der Tag gar nicht so viel anders aus als normalerweise; wir haben zu Hause „auf dem Dorf“ eine so schlechte Leitung, dass wir nicht so zuverlässig online arbeiten konnten wie unsere Kolleg*innen. So sind wir von Anfang an zu unseren Terminen mit einer Sondergenehmigung an die Hochschule gekommen und haben alles von dort aus erledigt. Unser Interview gerade ist an der Grenze, was über unsere dünne Dorfleitung funktioniert. So war unser Alltag von den strukturellen Rahmenbedingungen her ähnlich wie vorher, sprich: Anfahrt und Abfahrt, Termine….Nur die Termine selbst waren komplett verschieden (lacht).

Welche Veranstaltungen haben Sie beispielsweise umgesetzt? Nennen Sie gerne konkrete Beispiele.

 

Unsere Grundkurse, das sind größere, parallele Gruppen, haben wir komplett auf Online-Lehre umgestellt. Das war insofern handhabbar, als wir das didaktische Material, z.B. Vorlesungen, auch online halten, streamen und verteilen können. In den Projekten war das anders: Ich hatte explizit für dieses Semester zwei Projekte vorbereitet für Laborarbeit mit analogem Material und Geräten. Und eines davon war sehr aufwendig vorbreitet und das Material war bereits vor Ort. Diese Projekte waren, so wie geplant und vorbereitet, gar nicht umzusetzen; die Projekte mussten wir komplett und auf die Schnelle umstellen. Bei einem Projekt, das nur mit analogen Material stattfinden sollte, hatten wir das Konzept komplett geändert. Bei dem Zweiten, dem Klanglabor, das auch auf Laborbetrieb und Geräte baut, habe ich einen Kompromiss erarbeitet… was kann man mit Software am Rechner machen, was nicht? Für das Klanglabor haben wir wieder eine Ausnahmengenehmigung bekommen, die - unter strengen Hygienevorschriften und Auflagen - ein persönliches Arbeiten vor Ort erlaubte.

Wie haben Sie Ihre Lehre online konzipiert? Wie sind Sie dabei vorgegangen? Was waren die Driver – die Technik oder die Ziele?

 

Naja, zu allererst waren die Rahmenbedingungen bestimmend, d.h. die Frage, wie man sinnvoll einen Beitrag leisten kann, damit die Schutzmaßnahmen, die ergriffen wurden, wirken bzw. eingehalten werden. Für ein öffentliches Organ wie die Hochschule ist es wichtig, dass das klappt – ich denke, das hat es auch. Danach kommen die Qualitätsvorstellungen für die Lehre: Was soll eine Lehrveranstaltung formal und inhaltlich leisten? Und wie kann man das Meiste davon umsetzen? Sicherlich war die Umsetzung ein Kompromiss. Die Technik ist dafür nur Mittel, kein Zweck.

Wo gab es dabei Herausforderungen und wie haben Sie diese gelöst?

 

Das sind zwei Bereiche: die Infrastruktur einerseits, andererseits das eigentliche Anliegen, die Lehre, dh. wie bekommen wir unter solchen Bedingungen Inhalte deformationsfrei vermittelt. Für den ersten Themenkomplex sehe ich eine gewisse Euphorie unter Kolleg*innen und auch in Politik und Gesellschaft: Hurra, endlich haben es alle verstanden, endlich geht die Digitalisierung voran. Ich sehe das skeptischer, auch wenn die digitale Kommunikation flexibler ist und schöne Nebeneffekte hat, wie weniger Verkehr, weniger Zeit auf der Straße... Aber gleichzeitig und neben den Einschränkungen für die Inhalte, über die wir in Zusammenhang mit Didaktik und Lehre sprechen müssen, hat das gesellschaftliche Folgen, die ich bedenklich finde. Die Abhängigkeit, dass wer gesellschaftlich teilhaben will, der habe ein Smartphone, einen Mobilfunkvertrag, der habe einen Rechner, eine schnelle Netzverbindung…das wird einfach vorausgesetzt! Das finde ich bedenklich. Und das wird in der Digitaleuphorie vergessen oder so diskutiert, als wären das Defizite, die man möglichst schnell beheben müsse. Es kann aber auch sein - und dieser Aspekt fehlt mir in dieser Debatte - dass es Lebensentwürfe gibt, die es vorsehen, dass man sich nicht vernetzt oder dass man sich nicht von Technologien abhängig macht. Es ist verblüffend, wie technologiegläubig unsere Gesellschaft ist. Ich finde es auch unangenehm, dass, wenn man das Online-Programm gut hinbekommen hat in der Krise, als Beweis dafür angeführt wird, dass dies der richtige Weg sei. Ich darf behaupten, dass mit viel Aufwand unsere Veranstaltungen gut gelaufen sind und wir trotz Krise gut gelehrt haben, aber ich möchte nicht als Beweis dafür dienen, dass es so weitergehen muss.

Wenn Sie nochmals einen Blick auf Herausforderungen werfen, welchen unterliegt die Lehre, insbesondere in der Gestaltung?

 

Die Präsenz vor Ort hat zwei wichtige Aspekte: zuerst das soziale Miteinander. Der zweite Aspekt sind die Werkzeuge und das Material, mit dem gearbeitet wird. Bei beiden Aspekten gibt es große Unterschiede, je nachdem welche Inhalte man bearbeitet und welche didaktischen Absichten hinterlegt sind. Inhalte, die sowieso am Rechner stattfinden, sind genauso, wenn nicht besser online vermittelbar. Wenn aber Inhalte zu vermitteln sind, die sich auch auf Material beziehen, und das Material irgendwo sein muss, berührt und angefasst werden muss, ist das schwer digital umsetzbar. Die Sinnlichkeit, vor allem Haptik, Olfaktorik, usw….die ganze Erfahrbarkeit geht verloren.

Werfen wir einen Blick auf die Studierenden, wie haben die Studierenden auf die Online-Lehre reagiert?

 

Die Studierenden haben sehr gut reagiert! Eines meiner positiven Vorurteile ist ja, dass unsere Studierenden radikale Pragmatiker sind; sie nehmen die Situationen wie sie kommen und versuchen das Beste daraus zu machen. Die Idee von Erfolg ist hoch angesiedelt. Widerspruch gab es wenig. Zudem sind sie sehr routiniert, mit Netzmedien, Bildschirmen, usw. umzugehen, wenngleich auf eine etwas naive, unvorsichtige Art; deswegen habe ich große Bedenken, wie sich eine Gesellschaft entwickelt; bei so einer Distanzlosigkeit im Umgang mit Werkzeugen, die ja hinterlegt sind mit Absichten, z.B. wirtschaftlichen Interessen. In unserem Fall war das aber praktisch, denn es hat von Anfang an funktioniert; niemand hat sich beschwert, alle waren sofort am Start! Jedoch gab es später Reklamationen, weil die Studierenden den persönlichen Kontakt und das Arbeiten vor Ort sehr stark vermisst haben. Anfangs hatte man andere Sorgen, man musste alles umstellen, man musste improvisieren, Programme ändern, usw.    aber sobald man durchatmen konnte und die Routine da war, war sofort klar, dass sich die Studierenden wünschen vor Ort zu sein. Nicht nur wegen uns, den Professoren, sondern weil das Treffen untereinander extrem wichtig ist: Für das soziale Miteinander, den Ideenabgleich und für Vertrauensbildung. Deswegen müssen wir die Alltagskultur im Hause pflegen und ermöglichen, dass Communities entstehen, die sich fruchtbar entwickeln. Hierfür muss man im wahrsten Sinne des Wortes Raum geben: Da muss eine Tür aufgehen und dort sind dann alle in diesem Raum! Das wünschen sich die Studierenden!

In meinem Klanglabor war das gegeben; manche haben deswegen stark hineingedrängt, aber es gab auch Studierende, die aus persönlichen Risikoeinschätzungen nicht teilnehmen konnten, z.B. aus persönlichen gesundheitlichen Gründen oder der Dritter.

Wir haben daher eine Mischform angeboten. Das hat funktioniert, aber nur, weil die Gruppe klein war und wir seminaristisch arbeiten und so individuell improvisieren konnten. Das war ein Privileg und darüber bin ich sehr glücklich.

Können Sie die individualisierten Möglichkeiten noch ein wenig beschreiben?

 

Mir geht es darum, dass die Arbeitsweise mit einem analogen Gerät erfahrbar wird, eigentlich als Erlebnis geboten werden soll. Man könnte Vieles auch mit Software machen, aber der Prozess als Erfahrungsweg ist wichtig. Man sieht, was der Nachbar macht; da ist nichts versteckt hinter Oberflächen – man fasst die Steckverbindungen an, das ist Erlebnisarbeiten! Zwar gibt es inzwischen Software zur Simulation und das sieht auf den ersten Blick ähnlich aus – aber tatsächlich konterkariert es den Ansatz, dass man die Werkzeuge selbst anfassen und physisch erfahren muss. Es muss die Haptik dabei sein…der wesentliche Teil dieser Idee wird durch simulative Software ins Gegenteil verdreht.

Wie viele Studierende haben an den Veranstaltungen teilgenommen? Mehr oder weniger als normal?

 

Tatsächlich konnte ich keine Unterschiede feststellen: wie viele geben auf, wie viele sind nicht da, sind unpünktlich? Es ist schwierig, dies bei einer so kleinen Gruppe objektiv einzuschätzen. Subjektiv gesehen war die vollständige Teilnahme und die Pünktlichkeit weitgehend sichergestellt. Der Schwund im Laufe des Semesters, aus welchen Gründen auch immer, war im Rahmen und wie üblich.

Wovon haben Sie und die Studierenden am meisten von der Digitalisierung profitiert?

 

Dazu kann ich kaum etwas sagen: wir haben schon immer digital gearbeitet, vielleicht nicht so intensiv und nicht so umfassend. Aber wir arbeiten schon lange mit Netzmedien, Serverdiensten, Projektservern, Online-Abgaben…   

Was würden Sie in die “normale” Lehre übernehmen z.B. im nächsten Semester, wenn man herkömmlich lehren könnte?

 

Das betrifft weniger Tools wie ZOOM, sondern eher Fragen, wie wir z.B. einen gemeinsamen Terminplan handhaben. Aber das hätte sich unabhängig von einer Pandemie auch ergeben: die Weiterentwicklung der Software, die Gewohnheiten, der Umgang. Klar, ich kann mir vorstellen zukünftig Zoom einzusetzen, aber das ist nicht neu. Vorher hatte ich stattdessen Skype genutzt, wenn man keinen Termin vor Ort gefunden hat. Das würde ich auch weiterhin so machen. Aber unsere Präsenzveranstaltungen, gerade mit den kleinen Gruppen, die sind nicht zu ersetzen!

Was möchten Sie Ihren Studierenden raten, wie man erfolgreich online studiert?

 

Das sind ähnliche Dinge wie im Analogen: Selbst denken, nicht auf den Schwarm hören, Informationen von der Quelle holen - und die Quelle ist die Hochschule oder sind die Dozierenden! Wir erleben häufig eine Deformation unserer Informationen durch online-Kommunikation: beispielsweise holt sich ein Studierender unser PDF, gibt aber nur die erste Seite über Social Media weiter. Oder das PDF wird falsch zitiert, zusammengefasst, unzulässig gekürzt – und an alle verteilt. Diese Deformation unserer Kommunikation in den Sozialen Medien ist ein großes Problem.

Wie haben Sie selbst sich bei der Online-Lehre gefühlt?

 

Ich fand es sehr anstrengend, weil die sozialen Aspekte, z.B. die Einschätzung der Gruppendynamik, schwer gefallen sind. Es war viel Arbeit, wir mussten die Programme stark umbauen und das alles während des Flugs! Jetzt sind alle sehr froh, dass Ferien sind!

Welches ist aktuell Ihr Lieblingstool für Ihre digitale Lehre?

 

Nicht neu entdeckt, aber wichtig geworden ist die Nexcloud, die nicht nur mehr genutzt wurde, sondern auch einen Sprung gemacht hat, was die Funktionalität und die Zuverlässigkeit angeht. Eigentlich ist das meine Empfehlung: Selbst gehostete Werkzeuge, über das eigene Rechenzentrum oder ein öffentliches Konsortium - alles was nicht, sag ich mal, US-Großkonzerne anbieten. Ich finde es bedenklich, dass wir uns abhängig machen. Daten- und Informationshygiene ist das Eine, das Andere ist, dass wir Strukturen übernehmen, die nicht aus unseren eigenen kulturellen und rechtlichen Zusammenhängen kommen. Wir übernehmen das einfach! Deswegen ist alles besser, was wir selbst hosten können. Neben der Nextcloud ist das zum Beispiel SOGo. SOGo sollten wir viel stärker pushen, kommunizieren und etablieren unter der Studentenschaft. Da hängen neben Mail auch andere Dienste dran wie etwa der Kalender. Auch den werde ich viel mehr nutzen.

Was wünschen Sie sich für die Hochschullehre? Wie sieht - Ihrer Meinung nach - die Hochschullehre der Zukunft aus?

 

Da sind meine Sorgen völlig unabhängig von den aktuellen Themen wie Digitalisierung, Netzkommunikation, usw.. Ich beobachte, dass die Grundlagenlehre und -forschung vermehrt ins Hintertreffen gerät aufgrund einer massiven Ökonomisierung der Hochschulen auf verschiedenen Ebenen. Das betrifft das interne Miteinander, beispielsweise wie wir uns unter Kolleg*innen zueinander stellen, bis hin zur allgemeinen Ausrichtung, welche Ziele die Hochschule grundsätzlich verfolgt. Die Ökonomisierung, die in den letzten Jahren zur Leitidee erhoben wurde und deren Effekte wir noch gar nicht wirklich sehen, die wird Unheil über eine ehemals hervorragende Bildungslandschaft bringen. Verzeihung, wenn das pathetisch klingt, aber ich befürchte, es wird genauso werden: Ein Bildungssystem, das weltweit Vorbild war und es heute nicht mehr ist – obwohl wir vermeintlich strategische Maßnahmen umgesetzt haben, wie die Bachelor-Master Einführung – ist bereits beschädigt. Die ökonomische Orientierung der Hochschulen ist nun der zweite Schritt, der dazu führt, dass wir das verlieren, worin wir stark waren: die Grundlagenorientierung und freie Forschung, freie Kunst, zugunsten interessengetrieber Lehre, abhängiger Forschung und bedeutungsloser Kunst. Das halte ich tatsächlich für eine Katastrophe. Das alles geht langsam, teils unmerklich. Diese Ausrichtung auf die Ökonomisierung diskriminiert automatisch Inhalte, die nicht darunter zu subsumieren sind. Das sind offensichtlich wirtschaftskritische Inhalte und grundsätzliche Fragestellungen philosophischer Art, künstlerischer Art. Das können wir deutlich sehen, obwohl diese Prinzipien noch gar nicht voll greifen: Künstler und Philosophen sind keine Drittmittel-Stars! Das führt zu einer dramatischen Verschiebung in einer eigentlich gleichberechtigten Kunst- und Wissenschaftslandschaft. Nun habe ich wohl eher Sorgen als positive Prognosen aufgezeichnet….

…wenn Sie nun statt einer Dystopie eine Utopie zeichnen könnten –wie sehe diese für die Hochschule aus?

 

Also, meine grundsätzliche Idee von Lehre ist eher konservativ und an Humboldt orientiert, wenngleich er Wissenschaftler war und wir Gestalter sind. Was mir an seiner Idee von Lehre sehr gut gefällt, ist, dass Lehrende und Studierende auf Augenhöhe gemeinsam Themen entwickeln, erarbeiten, forschen und kreativ sind. Der Dozent ist Erster unter Gleichen, aber ist nicht der Verkünder, sondern der Moderator. Das setzt emanzipierte Studierende voraus, die in der Lage sind, sich verantwortlich zu verhalten und sich zu engagieren. Das wäre mein Ideal: möglichst emanzipierte Studierende, die sich gerne Verantwortung suchen und mit ihrem Dozenten in kleinen Gruppen selbstbestimmt zusammenarbeiten!