09.12.2021

Prof. Jens Müller ist Professor für 3D-Gestaltung und Gamedesign an der Hochschule Augsburg. Im Wintersemester 2021/22 hat er im Rahmen der Werkwoche/International Design Week gemeinsam mit seiner kenianischen Kollegin Dr. Mary-Clare Kidenda einen Hybrid-Workshop zur Entwicklung eines Brettspiels durchgeführt. Im Interview mit Elisabeth Hutter erläutert er, wie das gemeinsame Projekt zwischen Studierenden aus Nairobi und Augsburg ablief.

 

Elisabeth Hutter: Welche Form der international ausgerichteten digitalen Lehre haben Sie im Wintersemester 2021/22 durchgeführt?

Jens Müller: Wir haben einen Workshop im Rahmen der Werkwoche durchgeführt, die bei uns auch International Design Week heißt, weil ein Großteil der Veranstaltungen in Kooperation mit unseren internationalen Partnerhochschulen organisiert wird. Konkret ging es bei diesem Workshop um die Entwicklung eines Brettspiels gemeinsam mit Studierenden der Technical University of Kenya (Nairobi). Der Workshop fand teils in Präsenz in Augsburg und teils online statt, indem uns über Zoom die Studierenden und Mitarbeiter:innen aus Nairobi zugeschaltet waren.

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in Kooperation mit den kenianischen Studierenden ein Brettspiel zu entwickeln? Haben Sie dafür auf bestehende Kooperationen zurückgegriffen?

Geplant war ursprünglich eigentlich ein Workshop in reiner Präsenzform, zu dem wir die Kollegin Mary-Clare Kidenda aus Kenia eingeladen hatten. Sie hat es dann aber geschafft, so viele Leute in Nairobi ebenfalls für das Projekt zu begeistern, dass wir kurzfristig entschieden haben, den Workshop in hybrider Form, d.h. in Präsenz in Augsburg und gleichzeitig über Zoom mit den kenianischen Studierenden und Kolleg:innen, stattfinden zu lassen. Die Partnerschaft mit Kenia gibt es schon länger. Viele der Dozentinnen und Dozenten, die von kenianischer Seite an dem Workshop teilgenommen haben, kannte ich schon, weil sie zuvor schon einmal in Augsburg waren.

 

Was musste im Vorfeld mit den Kolleginnen und Kollegen geklärt werden?

Wir mussten vor allem ein Tool finden, das es uns erlaubt, zusammenzuarbeiten. Wenn man ein Brettspiel entwickelt, macht man das eigentlich an einem großen Tisch, auf dem alle Materialien liegen, die man braucht, um die Ideen festzuhalten. Diesmal wollten wir, dass die kenianischen Studierenden sich aktiv als vollwertige Teilnehmer:innen beteiligen können und uns nicht nur beim „Basteln“ zuschauen müssen. Dazu haben wir uns dann für Miro-Board entschieden, weil es so viele Funktionen hat, leicht verfügbar ist und zumindest einige der Augsburger Studierenden schon Erfahrung damit hatten.

 

Wie läuft eine Spiele-Entwicklung in so einem hybriden Veranstaltungsformat konkret ab?

Am Anfang musste erst einmal festgelegt werden, was wir machen wollen, da wir sehr unterschiedliche Erwartungen an den Workshop hatten, schon angefangen bei der Frage, was eigentlich ein Game überhaupt ist. Das lag auch daran, dass wir in der Vorbereitungsphase wenig Kontakt zueinander hatten.

Der nächste Schritt war dann die Konzeption von Charakteren und Stakeholdern für das Spiel. Hier haben wir uns für die Straßenhändler in Nairobi entschieden. Diese sind ein großes Thema in Kenia, weil sie illegal arbeiten, zugleich aber einen beträchtlichen Beitrag zum Bruttosozialprodukt leisten, weswegen es ein politischer Streitpunkt ist, wie mit ihnen umzugehen ist. Seitens der Hochschule stellt sich die Frage, ob man diese Menschen unterstützen kann, beispielsweise durch Knowhow.

Im Miro-Board haben wir die Figuren gezeichnet und beschrieben und anschließend Kärtchen für sie entwickelt. Danach wurden Orte entworfen, wo die Figuren miteinander interagieren; außerdem wurden die Skills der Figuren festgelegt und ein Spielbrett entworfen. Technisch haben wir das so gelöst, dass das Miro-Board, in dem wir unsere Ideen verwirklicht haben, als Screen mittels Zoom geteilt wurde, so dass alle es sehen konnten. Alle konnten auf das Miro-Board zugreifen und simultan daran arbeiten. Gleichzeitig haben wir auch manche Sachen an der Tafel notiert, die dann ebenfalls über Zoom im digitalen Raum eingeblendet wurden. Zoom war unser Kommunikationstool, das nebenherlief.

Geplant ist, das so entstandene Spiel in einem weiteren Workshop so weiterzuentwickeln, dass es bei der Documenta 15, die 2022 unter dem Thema „Solidarische Gemeinschaften“ stehen wird, vorgestellt werden kann.

 

Wie sehen Sie Ihre Rolle als Dozent in dem Projekt?

Ich war vor allem der Protokollführer, indem ich mich darum gekümmert habe, dass die Ideen und Ergebnisse über Zoom vermittelt werden, aber auch als Ideengeber, weil ich mich mit Boardgames sehr gut auskenne. Die kenianische Kollegin hat die Kommunikation moderiert. Die inhaltliche Arbeit wurde aber größtenteils von den Masterstudierenden geleistet, die sehr engagiert dabei waren und motiviert miteinander zusammengearbeitet haben. Diese Motivation hat auch viele Probleme des Digitalen überbrückt, weil immer eine große Reaktivität da war.

 

Haben Sie Unterschieden in der Motivation der Studierenden wahrgenommen – im Vergleich zu einer digitalen Lehrveranstaltung ohne internationale Ausrichtung, aber auch gegenüber analogen Lehrveranstaltungen mit internationalen Studierenden?

Dass die Veranstaltung so gut gelaufen ist, lag auch daran, dass von Augsburger Seite vor allem Erasmus-Studierende und internationale Degree Students teilgenommen haben, die sich untereinander hauptsächlich auf Englisch verständigt haben. D.h. sie hatten ein großes Eigeninteresse an einer englischsprachigen Veranstaltung und auch am interkulturellen Austausch.

Damit die Teilnehmer:innen motiviert bleiben, war es wichtig, dass die Kommunikation gut funktioniert. Dafür hat es sich als sehr hilfreich erwiesen, dass die Kollegin aus Nairobi bei uns in Augsburg war. Denn viele Aspekte und Hintergrundinformationen werden nicht unbedingt über Zoom geklärt, sondern eher im informellen Gespräch bei einer Tasse Kaffee in der Pause. Über Zoom ist die Kommunikation immer ein wenig offizieller und weniger persönlich. Mary-Clare Kidenda hat außerdem das in den Pausen Besprochene wiederum über Zoom an die ausländischen Teilnehmer:innen kommuniziert, um alle gleichermaßen einzubinden.

 

Worin liegt für Sie der Mehrwert einer solchen international ausgerichteten hybriden Lehrveranstaltung? Wie konnten insbesondere die Studierenden davon profitieren?

Das ist vor allem der ästhetische Mehrwert. Einerseits merkt man, dass es eine starke Verbindung gibt, insofern man eine gemeinsame Fachsprache verwendet, die universell einsetzbar ist. Gleichzeitig sehen wir, dass in anderen Kulturen andere Ästhetiken gelten, dass Dinge anders wahrgenommen und dargestellt werden. Letztendlich geht es darum, einen eigenen ästhetischen Stil zu entwickeln, wofür der Workshop sehr hilfreich war. Allerdings reicht eine Woche dafür nicht aus.

Bei einem der vorangegangenen Workshops zur Spiele-Entwicklung standen wir vor dem Problem, dass wir das gewählte Thema des Spiels – Straßenkinder in Südamerika – inhaltlich schwer umsetzen konnten, weil wir kaum persönliche Erfahrungswerte zu dem Thema hatten und feststellen mussten, dass wir eigentlich nur unsere bestehenden Vorurteile reproduziert haben. Durch die Kooperation mit den kenianischen Studierenden war es möglich, unsere technischen und ästhetischen Vorkenntnisse mit jenen Kenntnissen und Interessen an Ästhetik und Visualisierung der kenianischen Teilnehmer:innen zu kombinieren und außerdem ein Thema zu wählen, zu dem die Leute aus Kenia einen direkten, authentischen Zugang haben.

 

Was war für Sie die größte Herausforderung und wie sind Sie damit umgegangen?

Ein Problem bei solchen internationalen Kooperationen ist es immer, die unterschiedlichen Zeitlinien zu synchronisieren, also darauf zu achten, was die jeweiligen Semesterzeiten sind und wann es gut reinpasst in den Semesterplan. Bei den kenianischen Teilnehmer:innen war das Projekt auf ein ganzes Semester ausgelegt, bei uns aber nur auf eine Woche.

Dann gibt es immer wieder technische Probleme oder eine fehlende Verbindung. Alles in allem hat die Technik allerdings recht gut funktioniert. Wir hatten nur eine relativ basale Ausstattung, also einen Laptop und eine schwenkbare Kamera, um zumindest ab und an zu zeigen, was sonst noch im Raum ist. Wenn viele Leute im Raum sind, ist es schwierig, alle zu verstehen und zu sehen. Leider hatten wir kein Raummikrofon, das hätte die Sache ein wenig vereinfacht.

Eine weitere Herausforderung ist es, dass es interkulturelle Aspekte gibt, die für Irritationen sorgen können. Neben der Unterstützung von Mary-Clare Kidenda war es hilfreich, dass Prof. Doris Binger am Anfang einen Impuls zur interkulturellen Verständigung gegeben hat, um dafür zu sensibilisieren.

 

Sehen Sie auch Nachteile an einem solchen hybriden Workshop?

Wenn der Workshop nur über Zoom stattgefunden hätte, also ohne die Präsenz in Augsburg, wäre es sicherlich schwieriger gewesen, die Motivation aufrecht zu erhalten, weil schon eine gewisse Abstraktion festzustellen ist und die Kommunikation nicht so natürlich abläuft, wenn man nur Kacheln auf einem Bildschirm sieht. Zugleich ergibt sich bei einer Mischform die Gefahr, dass man die über Zoom Zugeschalteten ausschließt, wenn man zu sehr nur mit den physisch Anwesenden spricht. Die hybride Form hat sich aus meiner Sicht dennoch bewährt. Besonders hilfreich war dafür die „Verbindungsperson“ Mary-Clare Kidenda, die immer wieder vermittelt hat zwischen den Anwesenden in Präsenz und im digitalen Raum.

 

Welche Form der Lehrveranstaltung eignet sich aus Ihrer Sicht besonders gut dafür, welche vielleicht weniger?

Das Workshopformat erscheint mir sehr praktikabel, denn bei einem Workshop kommt es ohnehin meistens ein bisschen anders, als man es geplant hatte. Bei einer einwöchigen Veranstaltung kann ich auch in Kauf nehmen, dass sie ein bisschen chaotisch abläuft. Sicherlich könnte man auch ein Seminar so veranstalten, aber man geht ein Risiko damit ein. Beispielsweise hat sich die Wahl des Tools Miro-Board als sehr gut erwiesen, aber das hätte auch nicht klappen können. Sich nach einer Woche das Scheitern einzugestehen ist in Ordnung, aber nach einem Semester zu sagen: „Das hat überhaupt nicht geklappt“ – Das können wir uns nicht leisten, das ist verlorene Lebenszeit. Für Leute, die eine ergebnisorientierte Lehrveranstaltung suchen, ist so ein Format sicher nicht das richtige. Bei so einem Workshop weiß man einfach nie, welches Ergebnis am Ende herauskommt, das ist sehr offen.

 

Wie schätzen Sie den Aufwand für die Organisation eines solchen hybriden Workshops mit internationalen Kooperationspartner:innen für Sie als Dozent ein?

Es bedeutet wesentlich mehr Aufwand und auch deutlich mehr Stress. Jedes spontane Umplanen führt dazu, dass man wertvolle Zeit verliert. Wenn man möchte, dass am Ende etwas Gutes dabei rauskommt, muss viel vorab geplant werden, müssen viele Absprachen getroffen werden. Das fällt aus der Routine des Lehralltags eindeutig heraus.

 

Was ist Ihr Fazit zu diesem Projekt? Können Sie sich vorstellen, das auch in Zukunft noch einmal anzubieten? Oder wäre es Ihnen lieber, wenn das in Zukunft wieder regulär als physischer Besuch im Ausland verwirklicht wird?

Es wird auch nach der Pandemie nicht der Fall sein, dass wir einfach so mit allen Interessierten zu einer ausländischen Partnerhochschule reisen können. Ich halte das deshalb für schwierig, weil sich das nicht alle Studierenden leisten können. Selbst wenn das International Office möglicherweise Zuschüsse gibt, ist eine Reise, die gut und gern 1000 € kostet, für viele einfach nicht zumutbar. Diejenigen, die sich das nicht leisten können, müssten dann zuhause bleiben. Deswegen sehe ich im Einsatz von Online-Tools wie Zoom oder Miro-Board eine riesige Chance, um mit internationalen Studierenden zusammenzuarbeiten. Aber ich glaube, man braucht exemplarische Teilnehmer:innen vor Ort, die den Kontakt face to face herstellen.

 

Wo sehen Sie noch Optimierungsbedarf? Welche Hilfestellung, z.B. technischer oder administrativer Art, würden Sie sich wünschen?

So viel technische Ausstattung ist meiner Meinung nach gar nicht nötig. Wir hatten in der Vergangenheit schon Projekte mit Partnern in Marokko und im Senegal, da wollten wir das spezielle Equipment für Konferenzen, das wir an der Hochschule ja in manchen Räumen haben, nutzen. Das hat nicht gut funktioniert, weil ich nicht die Zeit hatte, mich vorher einzuarbeiten. Es hat sich gezeigt, dass ein Laptop und ein Beamer alles ist, was ich brauche, außerdem noch eine Webcam auf einem Stativ, die ich bewegen kann. Das Einzige, was gut gewesen wäre, ist ein hochwertiges Raummikrofon und vielleicht eine Dokumentenkamera, wobei da auch eine Webcam reicht, die man oben am Beamer befestigen kann.

 

Welchen Rat haben Sie für Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls internationale Kooperationen in ihre digitale Lehre einbinden möchten?

Jede Situation ist anders und jeder internationale Partner funktioniert anders. Man muss auf die Spontaneität vertrauen. Das Wichtigste ist eigentlich, dass man engagierte Leute hat, die auch dabeibleiben, wenn es Schwierigkeiten gibt. Dazu ist es hilfreich, wenn man schon einen bestehenden Kontakt hat, auf den man sich verlassen kann, der aber auch ein eigenes Interesse daran hat, dass das Format funktioniert. Vorab ist es außerdem wichtig, dass man sich etwas genauer, als wir es getan haben, über gemeinsame Ziele verständigt. Und als dritter Punkt ist es sicher gut, wenn man sich vorab ein Tool sucht, mit dem man arbeiten kann und dieses auch im Vorfeld schon ein bisschen ausprobiert.

Vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke in Ihre Arbeit!